Eine Sekunde der Welt
FBW-Pressetext
Eine Sekunde ist keine lange Zeit. Und doch kann in ihr so viel geschehen. Ein Leben kann sich für immer verändern, eine Liebe beginnen, ein Mensch zerbrechen, ein Gedanke erleuchten. Der Schriftsteller Siegfried Lenz hat diese Faszination der kleinsten Zeiteinheit in seiner Kurzgeschichte „Eine Sekunde der Welt“ festgehalten. Die Filmemacherin Anja Struck überträgt seine Worte nun in federleicht dahinschwebende, ineinander gleitende Bildideen, die auf fantasievolle Weise die Gleichzeitigkeit der Ereignisse spürbar machen. Da gibt es den Soldaten, dessen Gewehr sich in den Zopf einer Frau verwandelt, an die er gerade denkt. Da gibt es den jungen Studenten, der sich beim Nachdenken in Thomas Mann in einen älteren Buchhalter verwandelt, der über seinen Kontierungen grübelt. All das fängt Struck in wunderschönen schwarz-weißen Bildern ein, in denen die Kamera von Impression zu Impression wandelt und durch ein geschickt subtiles Montagekonzept den Eindruck einer einzigen Plansequenz erweckt. Ergänzt wird die Atmosphäre durch den Sprecher Torben Liebrecht, dessen Timbre den Worten Siegfried Lenz‘ eine träumerisch-warme Stimmung verleiht. In der kongenialen Symbiose aus Bild und Ton ist EINE SEKUNDE DER WELT ein sehr überzeugendes Lehrstück der Kurzfilmkunst.Filminfos
Gattung: | Kurzfilm |
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Regie: | Anja Struck |
Drehbuch: | Anja Struck |
Buchvorlage: | Siegfried Lenz |
Kamera: | Saschko Frey |
Schnitt: | Anja Struck |
Musik: | Martin Rosengarten |
Länge: | 6 Minuten |
Produktion: | Rixfilm Ltd. & Co.KG Frank Becher |
Förderer: | Filmbüro Franken e.V. |
Jury-Begründung
Anja Struck hat in den sechs Minuten ihres Kurzfilms die gleichnamige Ballade von Siegfried Lenz inszeniert. Besser, Strucks Film, ist eine Bebilderung der literarischen Vorlage aus dem Jahr 1950. Vorlage und Film demonstrieren, was in nur einer Sekunde, zeitgleich, in verschiedenen Winkeln der Erde passieren kann.Soldat, Mönche, Student, Arbeiter, Bauern… neun Episoden aus Bölls Ballade stehen neun Tableaus des Films gegenüber. Schwarz-weiß, kontraststark, manchmal wie einem Stummfilm entlehnt und auf der Tonebene mit eingelesenen Passagen des Originaltexts versehen. Dem Minimalismus des Texts fügt Struck neun präzise konstruierte, bisweilen sogar aufwändige Bildwelten hinzu.
Auch wenn Strucks Bebilderungen außerordentlich gefallen haben, hat die Jury ausgiebig diskutiert, ob das Vorhaben, diesen Text zu visualisieren, sinnvoll sei. Bölls Ballade an sich ist originell und Fantasie anregend. Der Film dagegen erzeugt ungewohnt fremde Bilder, die beim Zuschauer an die Stelle der eigentlich durch den Text evozierten, eigenen Gedankenbilder gestellt werden. Auch wenn dies natürlich bei jeder Literaturverfilmung der Fall ist, treffen die Bilder hier auf die beinahe ins Asketische reduzierte Textform des schriftlichen Originals. Andererseits aber, so die Jury weiter, erfährt eine jede dieser Szenen eine ungemeine Kraft aus ihrer starken Inszenierung, so dass Zuschauer von der kreativen Bildgestaltung auch profitieren.
Eines ist sicher, EINE SEKUNDE DER WELT ist ein Herzensprojekt und keine Auftragsarbeit. Mit ihrer gewissenhaften Inszenierung schafft es Struck, dem Film eine poetische Leichtigkeit zu geben, die dem Flair, bzw. der Atmosphäre von Bölls Original tatsächlich nahe- und bisweilen sogar gleichkommen kann. Und schließlich ist es Sprecher Torben Liebrechts sonore Stimme, die die Worte Bölls im Raum schweben zu lassen scheinen.
Dramaturgie, Schauspiel, Stimmung, Sound und Licht, mit EINE SEKUNDE DER WELT ist Anja Struck eine so unglaubliche stimmige Visualisierung des Lenz-Originals geglückt, dass die Jury nach Abwägung aller Argumente gerne beschließt dem Film das Prädikat besonders wertvoll zu verleihen.