Eigenheim
FBW-Pressetext
Trautes Heim, Glück allein. Ein Zustand, der für ein Münchner Rentnerehepaar jedoch ein jähes Ende findet, als die Erben ihres Vermieters vor der Haustür der kleinen Wohnung in der Hochhaussiedlung stehen. Die junge Familie sucht selbst nach einer Wohnung und meldet kurzum Eigenbedarf an. Für die beiden Rentner bricht in den letzten Monaten, die ihnen in ihrer Wohnung bleiben, eine Welt zusammen. Während sich der Ehemann zusehends in sein Modelleisenbahnzimmer zurückzieht, bemüht sich die Ehefrau um eine neue Bleibe. Doch der Immobilienmarkt ist unerbittlich: Menschenschlangen bei Wohnungsbesichtigungen, anonyme Makler, bergeweise Bewerbungsmappen – dabei sind die Wohnungen selbst teilweise in miserablem Zustand. Und so kommt es, wie es kommen muss: Zwangsräumung. Welf Reinhart schildert eine bedrückende Geschichte, die so oder so ähnlich vielen Menschen in Deutschland tagtäglich widerfährt. Besonders ergreifend wird die Erzählung in einer chaotischen Räumungsszene, in der wertvolle Erinnerungen wie wertloser Krempel behandelt und in Kisten verpackt werden. Dieser Degradierung eines ganzen Lebens folgt die Kamera von Matthias Kofahl mit langen Brennweiten, die die Verzweiflung des Renterpaares visuell sprechen, fast um Hilfe schreien lassen. In beeindruckender Weise stellt der Film keinen wirklichen Antagonisten heraus, denn die Welt ist nun mal nicht immer Schwarz und Weiß. Im Schicksal einer Suche nach einem Ort zum Niederlassen sind alle Menschen gleich – sei es das Rentnerpaar oder die junge Familie. Kein Mensch in Deutschland muss ohne Dach über dem Kopf auskommen, meint da ein Sozialarbeiter und doch birgt diese Wohlstandsgesellschaft seine Schattenseiten. Was den Rentnern schließlich bleibt, sind nur sie selbst.Filminfos
Gattung: | Drama; Kurzfilm |
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Regie: | Welf Reinhart |
Darsteller: | Ingrid Farin; Reinhart Firchow; Christiane Bärwald; Juliander Bärwald; Sebastian Kempf; Marion Frauendorfer; Rainer Banitz; Katrin Filzen |
Drehbuch: | Tünde Sautier; Welf Reinhart |
Kamera: | Matthias Kofahl |
Schnitt: | Welf Reinhart |
Musik: | Pablo Jókay |
Webseite: | m-r-film.com; |
Länge: | 23 Minuten |
Produktion: | Welf Reinhart, Merki und Reinhart Film; BR; Hochschule für Fernsehen und Film München; |
Jury-Begründung
Wohnort ist vielerorts knapp. Wohl dem, der eine sichere Bleibe hat. Das haben sich bestimmt auch Monika und Werner gedacht. Das Rentnerehepaar lebt in einer Hochhaussiedlung am Münchner Olympiapark und erfreut sich des Lebens. Alles ändert sich, als eines Tages die neuen Eigentümer vor der Wohnungstür stehen und eine Eigenbedarfskündigung in den Händen halten.Was nach einer Eigenbedarfskündigung passiert, ist vermutlich für niemanden einfach. Was passiert, wenn das im Rentenalter passiert, ist umso schlimmer. Welf Reinharts Protagonist:innen in EIGENHEIM sind sicherlich leise und angenehme Mieter, allerdings sind sie auch betagt und nicht sonderlich wohlhabend. Ganz feinsinnig strickt Reinhart das Layout einer Katastrophe. Anstatt den Lebensabend gemeinsam in der Wohnung verbringen zu können, sehen sich die Beiden von Obdachlosigkeit bedroht: Ein EIGENHEIM werden sie bald nicht mehr haben.
Reinharts Film entfaltet seine Wirkung dort, wo einfache Meldungen oder simple Statistiken längst aufgehört haben zu berichten und demnach auch keine Wirkung entfalten. Subtil, zurückhaltend und still erzählt er die Geschichte eines sozialen Desasters. Ein Ereignis, das kaum jemand wahrnehmen wird. Es gibt in EIGENHEIM keine schurkischen Vermieter, keine finsteren Makler und auch keine dickschädeligen Beamten vom Sozialamt. Jeder tut, was er für richtig hält oder das, was sein Job vorsieht. Und dennoch wird das Rentnerpaar der große Verlierer sein.
EIGENHEIM will kein Mitleid erregen, EIGENHEIM klagt an. Der Film richtet allerdings keine Klagen gegen Personen, sondern klagt über ein genauso ungerechtes wie inadäquates Sozialsystem. Dass funktioniert vor allem über das großartige Spiel von Ingrid Farin und Reinhart Firchow als Rentnerpaar, die sich rührend umeinander sorgen. Und es funktioniert auch wegen des ausgezeichneten Drehbuchs und über die gelungene Kamera, die manchmal einfach nur stiller Beobachter sein will. Die Jury zeigt sich tief ergriffen von dem, was sie auf der Leinwand wahrnehmen durfte, von der zu ahnenden Verzweiflung, von der verspürten Erniedrigung, von der Ohnmacht, die die beiden Rentner mit einem Mal überfällt und die sogar zur ernsten Bedrohung für deren zuvor sehr innige Beziehung gerät.
Nie hatte die Jury dabei das Gefühl, dass Welf Reinhart dazu plakative Stereotypen bemüht. Im Gegenteil: In der Diskussion zeigte sich, dass es ein großes Verdienst von Skript und Regie ist, dass vieles nur angedacht wird. Selbst eine gezeigte Wohnungsbesichtigung gerät nicht zum Fremdschämen, als das Paar etwas unbeholfen versucht, ihrem Glück durch eine kleine Bestechung nachzuhelfen. Auf nur 23 Minuten erzählt EIGENHEIM eine ergreifende, menschliche Tragödie aus unserer Mitte, eine Geschichte, die einfach erzählt werden musste, weil sie sonst viel zu leicht hätte übersehen werden können. Reinhart tut dies bis zum dezent offen gehaltenen Schluss mit so großem Fingerspitzengefühl und so viel Know-How, dass er den Maßstab für künftige Hochschulfilme sicherlich nach oben korrigiert hat.
Nach eingehender Beratung kommt die Jury daher einstimmig überein, EIGENHEIM das Prädikat „besonders wertvoll“ verleihen zu wollen.