Filmplakat: Die Weite suchen

FBW-Pressetext

DDR, Sommer 1987. Familie Schuster fährt in den Urlaub an die Ostsee. Die Eltern, die beiden Kinder, der Sohn Falk ist gerade in die Schule gekommen, seine Schwester ist ein Teenager. An den schwer beladenen Trabanten ist ein Anhänger gespannt, der viel Verpflegung für den Sommerurlaub tragen muss. Für den Jungen Falk war der Urlaub vor allem eines: eine Auszeit vom langweiligen Alltag, die direkte Begegnung mit West-Lkws auf der Transitstrecke und Spielen am Strand. Für die Eltern jedoch schwang auch immer etwas anderes mit. Denn hier, an der Ostsee, da war die Grenze, der Übergang zur BRD nicht weit. Das wussten auch die Grenzsoldaten mit den Gewehren, die immer umherstreiften. Doch wenn man sich auf einen kleinen Hügel stellte, etwas abseits von all dem Gewusel, da konnte man ganz weit sehen. Bis in den Westen. Bis in die Freiheit. Für seinen 29minütigen Kurzfilm nutzt der Filmemacher Falk Schuster das Stilmittel einer animierten Dokumentation. Jedes Bild ist gezeichnet, selbst die Interviews mit der Familie, von der man nur die Umrisse erkennt. Und doch, gerade in der Detailgenauigkeit, ist alles für den Betrachter klar erkennbar, und viele Ostprodukte und Ausstattungsgegenstände sorgen für so manchen Wiedererkennungswert. Durch seine eigene Erzählhaltung aus der kindlichen Erinnerung hinaus wertet Falk Schuster die Erlebnisse nicht – und erzählt gerade deswegen so unwahrscheinlich viel über die ehemalige DDR und die Hoffnungen und Träume ihrer Einwohner. Die ständige Beschränkung der Mittel, die einen Strandkorb zum absoluten Luxus werden lassen, und die ständige Präsenz der Polizei lassen die Restriktionen erkennen. Und dennoch ist DIE WEITE SUCHEN ein leichter und über die Maßen unterhaltsamer Film, der sommerliche Stimmung verbreitet und, ganz ohne verkitschte Ostalgie, den Betrachter dreißig Jahre zurückführt. Auf diese Weise verarbeitet Falk Schuster nicht nur seine Kindheitserinnerung, sondern auch das Gefühl einer ganzen Generation an Menschen, die in der DDR groß wurden und sich nun an alles erinnern. Nicht an das, was schlechter oder was besser war. Sondern einfach nur an das, was anders war. Ein kluger, warmherziger und handwerklich perfekt gemachter Film.
Prädikat besonders wertvoll

Filminfos

Gattung:Animationsfilm; Dokumentarfilm; Kurzfilm
Regie:Falk Schuster
Drehbuch:Falk Schuster
Kamera:Ralf Kukula; Julian Quitsch
Schnitt:Stefan Urlaß
Musik:Peter Piek
Länge:29 Minuten
Verleih:interfilm Berlin Short Film Sales & Distribution
Produktion: Balance Film GmbH
Förderer:BKM; MDM; Kulturstiftung Sachsen; SLM

Jury-Begründung

Prädikat besonders wertvoll

Wer bei dem Titel DIE WEITE SUCHEN an eine sperrige Dokumentation mit doppeldeutigem Titel denkt liegt falsch. Falk Schusters muntere Animation ist genauso heiter wie informativ. Nicht einmal die umfangreiche Serie „So war die DDR“ hat der Jury so viel über das Leben im sozialistischen Teil Deutschlands erzählt wie die 29 ½ Minuten dieses Films.

Viel, viel Eingemachtes, größere und kleinere Tauschartikel, und natürlich auch die Volkspolizei und Grenzer. Mit seinem Blick auf den Sommerurlaub seiner Familie, 1987 an der Ostsee, verrät Schusters DIE WEITE SUCHEN viel darüber, wie die DDR “funktioniert“ hat. Der Film erzählt vom Urlaubsgefühl der Kinder, vom Fernweh der Eltern und der Geschäftstüchtigkeit der Vermieter und Ostseeanwohner.

Begeistert zeigte sich die Jury von der präzisen Grafik des Films. Die angewendete Technik der Rotoskopie ist Fleißarbeit, erlaubt DIE WEITE SUCHEN aber eine adäquate Abstraktion und Reduktion, mit viel Sinn für Details. Durch die reduzierte Bildsprache lässt der Kurzfilm Raum für die Vorstellungskraft und kann seine inhaltliche Vielfalt umso stärker an sein Publikum tragen.

So aufwändig gestaltet DIE WEITE SUCHEN ist, so hervorragend ist der Film auch recherchiert. Anhänger packen, Westkennzeichen zählen, Schlange stehen; in der der Sichtung angeschlossenen Diskussion zeigte sich die Jury beeindruckt von Schusters wacher Erinnerung an die DDR und den Lebensalltag seinerzeit. Bis ins Detail hinein spürt er nicht nur dem mitmenschlichen Nebeneinander, sondern auch ganz Nebensächlichem, wie Plastikkörben, Sonnenschirmen, Töpfen, Radios und Armaturen, nach. Kleinen Dingen, die, wie die Jury glaubt, den DDR-Alltag manchmal besser wiedergeben als großartige Erklärungen. Dinge, die bei einem Teil der Jury tatsächlich auch Erinnerungen an die eigene Kindheit wachgerufen haben.

Trotz der gezeigten, historischen Sicherheit lobt die Jury die verblüffende Leichtigkeit, mit der DIE WEITE SUCHEN beeindruckt hat. Auch hier waren es wieder die sympathischen Kleinigkeiten und Details, mit denen Schusters Film überzeugen konnte. So etwa das Stolpern eines uniformierten Grenzsoldaten über ein achtlos am Strand liegendes Plastikeimerchen, das auf die Jury durchaus real wirkte und dennoch, mit einem kleinen Augenzwinkern, zeigte, wie verwundbar der Überwachungsstaat im Innersten doch war.

Schusters Film neigt niemals zur Ungenauigkeit oder gar Verklärung. Immer wieder, aus Sicht der Kinder erzählend, konserviert er einen kleinen Abschnitt aus dem Leben in der DDR und bereichert ihn, dort, wo das kindliche Verständnis nicht ausreicht, mit Interviews von Eltern und damaligen Vermietern. Und sogar in dieser lebhaft ungefilterten Aussage der Interviewpartner schwingt immer mit, dass man damals wie heute akzeptiert hat, wie das Leben in der DDR war.

DIE WEITE SUCHEN hat die Jury inhaltlich wie auch formell voll auf überzeugt, so dass sie dem Film einstimmig das Prädikat „besonders wertvoll“ verliehen hat.