Die Saat des heiligen Feigenbaums
FBW-Pressetext
Der neue Film von Mohammed Rasoulof erzählt die Geschichte einer Familie vor dem Hintergrund der Jina-Proteste („Frau, Leben, Freiheit“) im Iran 2022. Ein hochaktueller politischer Film, der einen mit voller emotionaler Wucht trifft und nicht mehr loslässt.Es ist eine Ehre für Iman, als er zum Untersuchungsrichter am Revolutionsgericht in Teheran ernannt wird. Auch seine Frau Najmeh freut sich über die Möglichkeiten, die der Familie nun offenstehen. Eine größere Wohnung, ein jeweils eigenes Zimmer für die beiden Töchter Rezvan und Sana. Doch die Beförderung bringt auch Gefahren mit sich. Vor allem in einer Zeit, in der im Iran die Menschen auf die Straße gehen, um gegen den Unrechtsstaat zu protestieren. Iman erhält eine Waffe, um sich und seine Familie zu verteidigen. Während Iman immer mehr unter seiner neuen Position leidet und Paranoia entwickelt, werden Rezvan und Sana nach und nach von der Revolutionsstimmung im Land angesteckt. Sie geraten damit nicht nur in einen Streit mit ihrer Mutter, sondern hinterfragen zunehmend das frauenfeindliche System. Und eines Tages ist die Waffe des Vaters spurlos verschwunden….
Fast drei Stunden lang ist der neue Film von Mohammed Rasoulof – und jede Minute des Films ist gefüllt von einer atemlosen, körperlich greifbaren Spannung. Mit DIE SAAT DES HEILIGEN FEIGENBAUMS erzählt Rasoulof eine familiäre Tragödie, die gleichzeitig die Konflikte der iranischen Gesellschaft spiegelt. Die Jina-Proteste („Frau, Leben, Freiheit“) bilden den Hintergrund der Geschehnisse – und Rasoulof zeigt auf, wie eine jüngere Generation, verkörpert durch Rezvan und Sana, die diktatorischen Strukturen nicht mehr akzeptieren will. Die Mutter Najmeh ist zerrissen zwischen den Werten, die sie gelernt und akzeptiert hat, und dem Verständnis für ihre Töchter, die sie um jeden Preis schützen will. Wenn es sein muss, auch vor dem Vater Iman, den Rasoulof als ambivalenten Mann zeichnet, der weiß, dass das System, für das er arbeitet, korrupt ist. Trotzdem ist er immer noch ein Patriarch, der darauf besteht, dass Frau und Töchter ihm gehorchen. Wie ein immer enger werdender Griff ist die Spannung des Films spürbar, die Darstellenden sind in ihrem Spiel fast dokumentarisch authentisch und die Kamera lässt ihnen den Raum, das angespannte Miteinander auszuleben. Die Gewalt, die auch in den immer wieder eingespielten realen Videoaufnahmen sichtbar ist, manifestiert sich in der Familienkonstellation durch Blicke, Gesten und kurze, absolute Ansagen, die vor allen Dingen in späteren Szenen die Ausweglosigkeit der Frauen in diesem System deutlich werden lassen. Gerade gegen Ende des Films wirkt DIE SAAT DES HEILIGEN FEIGENBAUMS immer mehr wie ein atemloser Thriller, dessen Ende mit aller Wucht daherkommt und lange nach dem Abspann noch beschäftigt. Mit dieser Produktion, die in Cannes den Spezialpreis der Jury erhielt, ist Rasoulof ein politisch hochaktueller und in jeder Beziehung großer Film gelungen, der anklagt, aufrüttelt - und am Ende auch Mut macht.
Filminfos
Gattung: | Drama; Spielfilm |
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Regie: | Mohammad Rasoulof |
Darsteller: | Missagh Zareh; Soheila Golestani; Mahsa Rostami; Setareh Maleki; Niousha Akhshi; Reza Akhlaghi; Shiva Ordooei; Amineh Arani |
Drehbuch: | Mohammad Rasoulof |
Kamera: | Pooyan Aghababaei |
Schnitt: | Andrew Bird |
Musik: | Karzan Mahmood |
Webseite: | alamodefilm.de; |
Weblinks: | kinofans.com; |
Länge: | 167 Minuten |
Kinostart: | 26.12.2024 |
Verleih: | Alamode Filmdistribution |
Produktion: | Run Way Pictures, Parallel45; Arte France Cinéma; |
FSK: | 12 |
Förderer: | MOIN Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein |
Jury-Begründung
Mahammad Rasoulofs Film lässt das Publikum in jedem Fall nicht unberührt. Mit beeindruckender Konsequenz und Intensität erzählt der iranische Regisseur in DIE SAAT DES HEILIGEN FEIGENBAUMS vom Würgegriff der Diktatur und davon, wie er nicht nur gegen Regime-Gegner angewandt wird, sondern auch die angepassten, ja vom System profitierenden Familien untergräbt und schlussendlich zerstört.Die Jury war beeindruckt davon, wie differenziert und vielfältig Rasoulof sein Familienporträt zeichnet, in dem der Vater als Untersuchungsrichter dem Unterdrückungssystem dient, und die Mutter zuerst als heillose Konformistin erscheint, die die materiellen Vorteile der Position ihres Mannes zu schätzen weiß, während die beiden Töchter ihre Familienloyalität vor eine schwere Prüfung gestellt sehen, als im Nachhall des in Sittenpolizeigewahrsams erlittenen Tods von Jina Mahsa Amini Proteste auf den Straßen Teherans losbrechen.
Der Film gesteht jeder seiner Figuren mehrere Dimensionen zu: Der Vater ist am Anfang ein unwilliger Mitläufer, der sich gern vor der direkten Beteiligung an Todesurteilen gedrückt hätte. Als dann aber seine Dienstwaffe verschwindet und er annehmen muss, dass eine seiner Töchter sie entwendet hat, packt ihn nicht nur die Angst vor den Konsequenzen, die der Verlust der Waffe auf seiner Arbeit haben könnte, sondern er fürchtet den Kontrollverlust über die eigene Familie und damit auch über das eigene Leben.
Seine Ehefrau, die am Anfang als die fast schamlosere Mitläuferin erscheint und die sich bei der Nachricht über die Beförderung ihres Mannes schon auf eine größere Dienstwohnung freut, entpuppt sich im Lauf des Films nicht nur als unerwartet klug handelnde Frau, die in Krisensituationen einen kühlen Kopf bewahrt, sie zeigt sich auch als die moralisch Stärkere, wenn es darum geht, anderen zu helfen, auch wenn das heimlich geschehen muss. Schließlich stellt sie sich hinter ihre "progressiveren" Töchter, auch wenn sie sie anfangs noch zu angepasstem Benehmen angehalten hat.
Die ältere Tochter findet im Lauf des Films gewissermaßen ihre Stimme, und den Mut den Eltern zu widersprechen. Die jüngere schließlich erweist sich als die eigentliche Rebellin der Familie, die aus ihrer Beobachterinnenhaltung als jüngstes Familienmitglied ihr eigenes Weltbild gewonnen hat und die Autorität des bis vor kurzem noch von ihr vergötterten Vaters in Frage stellt.
Mit großartig agierenden Schauspielern, einem bewundernswerten Gespür für Timing und dem gekonnten Einbezug der Rolle, die soziale Medien in solchen Situationen spielen, entwirft Rasoulof ein grandioses Drama, bei dem man als Zuschauer stets den Gewaltexzess noch fürchtet - bis man dann feststellen muss, dass die Gewalt immer schon da war. Die Konfliktzonen unterschiedlichen Generationen und Geschlechtern bringt der Film schließlich zu einem im besten Sinn ambivalenten Ende zusammen. Dass dieses Regime zum Tod verurteilt ist und eine brüchige Unterlage hat, führt er bildlich vor Augen, weshalb das Ende zwar tragisch, zugleich aber auch fast optimistisch wirkt.
Die Jury vergibt einstimmig das höchste Prädikat ‚besonders wertvoll‘.