Die Hüter des Unrats. Eine kurze Geschichte des Abfalls
FBW-Pressetext
Abfall gibt es, seit es Menschen gibt. Und die Menschen hinterlassen ihren Abfall überall. Auch da, wo er nicht hingehört. Auf der Erde, in der Luft – und im Wasser. Denn das, was der Mensch hinterlässt, das wird vom Meer und seinen Bewohnern bewahrt. Wie praktisch, schließlich ist der Abfall die Visitenkarte der Menschheit. Und wer weiß? Vielleicht wird in vielen Jahrhunderten einmal jemand auf die Überbleibsel von Meeresbewohnern schauen und sehen, was für wunderbare Artefakte sie in ihren Mägen eingeschlossen haben. Denn Plastik vergeht nicht so schnell. Ein Lebewesen schon. In ihrem Kurzexperimentalfilm DIE HÜTER DES UNRATS setzt sich die Filmkünstlerin Susann Maria Hempel mit dem Thema der Müllverschmutzung der Meere auf originell-eindringliche Weise auseinander. Wie in einer Kunstausstellung sind die Exponate von toten Tieren aufgebaut. In ihren Mägen Plastikmüll, dazu auf vielen kleinen Bildschirmen Videoinstallationen, in denen Alltagsobjekte wie Tabletten, Ü-Ei-Verpackungen oder Metallteile sich mit den Körpern der Tiere „vereinen“. Das erläuternde Voice-Over gibt einen versachlichenden Überblick über die Geschichte des Abfalls. Gerade in dieser Sachlichkeit und Strenge der eingesetzten Mittel liegt die Kraft des Films. Denn er führt eindringlich vor Augen, wie egoistisch zweckmäßig wir als gerade existierende Menschheit die Erde betrachten. DIE HÜTER DES UNRATS ist ein beklemmendes filmisches Experiment. Aber auch eine kluge und dazu künstlerisch und filmhandwerklich exzellent komponierte Auseinandersetzung mit einem hochrelevanten Thema.Filminfos
Gattung: | Experimentalfilm; Kurzfilm |
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Regie: | Susann Maria Hempel |
Drehbuch: | Susann Maria Hempel |
Kamera: | Susann Maria Hempel |
Schnitt: | Susann Maria Hempel |
Musik: | Bohren & der Club of Gore |
Länge: | 11 Minuten |
Verleih: | AG Kurzfilm |
Produktion: | Susann Maria Hempel |
Förderer: | Filmbüro Bremen |
Jury-Begründung
Es ist beileibe nicht so, dass Geschichten zu Umwelt-Themen, sozusagen durch einen pädagogisch-politischen Bonus, von vornherein punkten. Auch ökologisch-thematisierende Filme müssen für ein Prädikat überzeugen – und DIE HÜTER DES UNRATS – EINE KURZE GESCHICHTE DES ABFALLS hat die Jury tatsächlich überrascht.Es zeugt schon Mut, Umweltverschmutzung konsequent aus den Augen von Archivaren zu erarbeiten. Und Susann Maria Hempel beweist wirklich Mut, wenn sie in DIE HÜTER DES UNRATS – EINE KURZE GESCHICHTE DES ABFALLS zunächst bedauert, dass durch die Wiederverwertung von Müll zukünftigen Generationen keinen Blick mehr auf unseren Alltag gewährt wird. Aus archäologischer Sicht sicherlich beklagenswert, aber als ökologischer Standpunkt schlichtweg eine Katastrophe. Es dauert tatsächlich eine Weile, bis Zuschauern der dieser Aussage innewohnende Sarkasmus vollständig gewahr wird. Diese Weile überbrückt Hempels Experimentalfilm zunächst mit Stop-Motion-Bildern eines Eigenleben-führenden menschlichen Mülls, dann mit Bildern einer Ausstellung voller kunstvoll skelettierter Lebewesen.
Was zunächst schräg klingt, macht mit Fortlauf des Films zunehmend Sinn. Tatsächlich tragen Fische, die das Treibgut menschlicher Hinterlassenschaften verschlucken, einen Großteil des Mülls ein Leben lang mit sich herum. Und damit werden sie zu Black Boxes der Zivilisation, zu Müllplätzen, die genau das leisten, was heutzutage archäologische Stätten realisieren: die Vergangenheit für die Zukunft auffindbar zu machen. Hempel geht diesen Weg konsequent. Weise lässt sie ihren Film die Frage formulieren, ob diese Black Boxes dann nicht zu Kulturträgern werden? Und gehören solche Kulturträger nicht folgerichtig in ein Museum?
Visuell begleitet DIE HÜTER DES UNRATS – EINE KURZE GESCHICHTE DES ABFALLS das sarkastische Statement mit einer Kamera, die allmählich über eine imaginäre Ausstellung zu schweben scheint. Die den Blick preisgibt auf wunderbar morbide, gerahmte Bilder von Verfall und Zersetzung, auf antiquierte Schnittzeichnungen von Fischen. Und auf Bildmetaphern, die mit Denkgewohnheiten brechen und intellektuell fordern.
So ästhetisch reizvoll sich die visuelle Ebene zeigt, so schwer ist es der Jury gefallen, dem Off-Kommentar zu folgen. Eigentlich sollen dessen Erläuterungen Zuschauer mit durchaus philosophischen Bemerkungen zur Erinnerungskultur begleiten. Tatsächlich aber haben sie die Jury bisweilen sogar vom Thema abgelenkt. Das ist schade, denn, so hat sich in der Diskussion gezeigt, der Kommentar lässt bei den Zuschauern letztlich die Frage entstehen, ob Menschen tatsächlich so wichtig sind, dass sie alles andere Leben in Frage stellen dürfen.
Sicher, DIE HÜTER DES UNRATS – EINE KURZE GESCHICHTE DES ABFALLS ist kein narratives Kino. Susann Maria Hempel will aber auch nicht unterhalten. Gerade in visueller Hinsicht erzählt sie stil- und formvollendet eine alte Geschichte vollkommen neu und überrascht ihre Zuschauer mit einem ästhetisch genauso gelungenen, wie makabren Statement. DIE HÜTER DES UNRATS – EINE KURZE GESCHICHTE DES ABFALLS ist bitterböse, filmische Lyrik zu einem ernsten Thema von heute. Nach einer durchaus ergiebigen Diskussion verleiht die Jury dem Experimentalfilm daher gerne das Prädikat BESONDERS WERTVOLL.