Deutschstunde

Kinostart: 03.10.19
VÖ-Datum: 03.04.20
2019
Filmplakat: Deutschstunde

FBW-Pressetext

DEUTSCHSTUNDE von Christian Schwochow ist die kongeniale Umsetzung der berühmten Romanvorlage von Siegfried Lenz und erzählt auf eindringliche Weise von Deutschland in der NS-Zeit und der Rolle, die bedingungslose Pflichterfüllung darin spielte.

Deutschland, kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. Der als schwer erziehbar geltende Siggi Jepsen ist in einer Besserungsanstalt untergebracht, doch trotzt auch hier den Lehrern. Als er zum Thema „Die Freuden der Pflicht“ keinen Aufsatz verfassen kann, wird er in Einzelverwahrung gesteckt, bis die Aufgabe erledigt ist. Und so schreibt Siggi von seiner Kindheit in Schleswig-Holstein während der Kriegsjahre. Er berichtet von seinem Vater, der streng war und dem NS-Regime in treuem Gehorsam folgte. Und von seinem Patenonkel, dem Maler Max Nansen, der eines Tages nicht mehr malen durfte, weil seine Kunst von denen in Berlin als „krank“ bezeichnet wurde. Als Siggis Vater seinen Sohn benutzen will, um den Maler auszuspionieren, gerät der Junge in einen Gewissenskonflikt.
Vor über 50 Jahren erschien mit DEUTSCHSTUNDE einer der berühmtesten Romane von Siegfried Lenz – der sich darin nicht nur mit der NS-Zeit, sondern auch mit deren Aufarbeitung im Nachkriegsdeutschland auseinandersetzte. Regisseur Christian Schwochow und der Drehbuchautorin Heide Schwochow ist es gelungen, die dichte Atmosphäre der Vorlage eindringlich auf die Kinoleinwand zu bannen. In von kalten Grautönen beherrschten, großen Bildern zeigen sie die Weite der rauen Landschaft und die Enge der Gesellschaft gleichermaßen, in der die Figuren gefangen sind und in der das Leben von Zwang und Pflicht beherrscht wird. Den inneren Konflikt des Siggi Jepsen, der von seinem pflichtbesessenen Vater als Spitzel eingesetzt wird und sich irgendwann widersetzt, macht der Film ebenso greifbar wie die Situation des Malers, der seine künstlerische Freiheit über das Malverbot stellt. Dialoge und Gesten sind reduziert, das große Drama geschieht unterschwellig und ist doch als konstante Bedrohung spürbar, was auch an der großartigen Ensembleleistung liegt, allen voran Tom Gronau und Levi Eisenblätter, die Siggi als Jungen und jungen Erwachsenen verkörpern, Ulrich Noethen, der mit großer Intensität die Strenge und Dominanz des Vaters darstellt, und Tobias Moretti, der den Trotz und die Verzweiflung des Malers voll ausspielt. Ein Kamerakonzept, das von langen, gleitenden Einstellungen dominiert ist, und ein kongeniales Sounddesign, in dem Sturm und Regen ebenso symbolträchtig sind wie das leise Ticken der Wanduhr und die Stille eines verlassenen Hauses, erschaffen eine perfekte filmische Umsetzung einer literarischen Vorlage, die als Geschichte auch heute ihre Bedeutung nicht verloren hat.

Filminfos

Gattung:Drama; Spielfilm
Regie:Christian Schwochow
Darsteller:Tom Gronau; Levi Eisenblätter; Tobias Moretti; Ulrich Noethen; Maria Dragus; Louis Hofmann; Sonja Richter; Johanna Wokalek
Drehbuch:Heide Schwochow
Buchvorlage:Siegfried Lenz
Kamera:Frank Lamm
Schnitt:Jens Klüber
Musik:Lorenz Dangel
Webseite:wildbunch-germany.de;
Jugend Filmjury:Lesen Sie auch, was die Jugend Filmjury zu diesem Film sagt...
Länge:125 Minuten
Kinostart:03.10.2019
VÖ-Datum:03.04.2020
Verleih:Wild Bunch Germany
Produktion: Network Movie Film- und Fernsehproduktion GmbH & Co.KG, Senator Film Köln; ZDF;
FSK:12
Förderer:FFA; BKM; DFFF; FFHSH; Film- und Medienstiftung NRW

Jury-Begründung

Prädikat besonders wertvoll

Deutschland kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. In einer Jugendstrafanstalt sollen die Insassen einen Aufsatz schreiben zum Thema „Die Freuden der Pflicht“. Der junge Siggi Jepsen bringt kein Wort zu Papier. Zur Strafe wird er in eine Zelle gesteckt, wo er in den folgenden Monaten wie besessen Heft um Heft füllt mit den Erinnerungen an seine Kindheit in den Kriegsjahren. Sie sind geprägt durch seinen Vater, den Polizisten Jens Ole Jepsen, die absolute Autorität in dem kleinen Dorf am norddeutschen Wattenmeer, der die Pflichten seines Amtes und die Treue zu seinem Dienstherrn im fernen Berlin über alles stellt. Als die Nationalsozialisten ein Malverbot gegen seinen Jugendfreund, den expressionistischen Maler Max Ludwig Nansen, verhängen, lässt er keinen Zweifel daran, dass er es strikt durchsetzen und penibel überwachen wird. Dazu benutzt er auch seinen damals 11-jährigen Sohn Siggi, der den Maler ausspionieren soll. Doch Nansen widersetzt sich, malt weiter und setzt dabei ebenso auf die Unterstützung von Siggi, der sein Patensohn ist. Fortan steht der Junge zwischen den beiden Männern, deren Konflikt sich immer weiter zuspitzt. Anpassung oder Widerstand – diese Frage wird für Siggi entscheidend.

50 Jahren nach dem Erscheinen des Romans von Siegfried Lenz über Schuld und Pflicht in der Zeit des Nationalsozialismus hat sich Christian Schwochow an eine Neuverfilmung gewagt. Dabei ist ihm nach einem Drehbuch seiner Mutter Heide Schwochow ein atmosphärisch dichtes und kraftvolles Werk gelungen, das den Widerspruch zwischen Pflichterfüllung und individueller Verantwortung klar herausarbeitet und sehr aktuell an heutige Zuschauer appelliert, Stellung zu beziehen.

In der kleinen Gemeinschaft auf dem Lande, weit abgelegen von der nächsten Kreisstadt und den Zentren der Macht, wo jeder jeden kennt und jeder einzelne eine Ausnahme hätte machen können, sind die Figuren gefangen in ihren Vorstellungen von Zwang und Pflicht. Isoliert und abgeschieden liegen die Häuser in der grauen Wattlandschaft, über der dunkle Wolken hängen und immer wieder Schauer niedergehen. Sie verspricht keine Freiheit, sondern die Enge des Denkens spiegelt sich in den niedrigen, düsteren Innenräumen des Polizeipostens, der auch Wohnstatt der Familie Jepsen ist. Hier herrscht eine enge, gedrückte Atmosphäre, während es im Hause des Malers Nansen eher großzügig und städtisch zugeht.

Grundlage des Films ist ein starkes Drehbuch, das zwar mehrere Stränge verfolgt und viele dramatische Höhepunkte aufweist, den Grundkonflikt aber nie aus den Augen verliert und ihm stets weitere Facetten hinzufügt. Dazu gehören die Geschichten der älteren Geschwister, die sich den Ansprüchen des Vaters entziehen, wie die Schwester, die dem Maler Modell steht und eine Anstellung in der Kreisstadt antritt, oder der Bruder, der wider Erwarten kein Kriegsheld, sondern desertiert ist und verzweifelt – und vergebens – im Elternhaus Schutz sucht.

Die Inszenierung ist bewusst minimalistisch gehalten und arbeitet das Vater-Sohn-Verhältnis streng und klar heraus. Dafür hat die Regie symbolträchtige Bilder und Szenen gefunden, die an keiner Stelle klischeeartig oder überladen wirken. Dialoge und Gesten sind äußerst reduziert, die großen Konflikte spielen sich eher unterschwellig ab. Dennoch durchziehen Ambivalenz und Bedrohung den ganzen Film, jederzeit kann die Stimmung umschlagen. Das ist ein Verdienst des großartigen Schauspielensembles, das angeführt wird von Tom Gronau und Levi Eisenblätter, die Siggi als Jungen und jungen Erwachsenen darstellen, sowie Ulrich Noethen und Tobias Moretti, die als strenger, dominanter Vater und trotzig-verzweifelter Maler die Gegenpole darstellen. Maria Dragus und Louis Hofmann als ältere Geschwister, Sonja Richter als Mutter und Johanna Wokalek als Malergattin verleihen den Figuren am Rande glaubhafte Charaktere.

Szenenbild und Kostüme sind herausragend und authentisch gestaltet und kommen in einer ausgefeilten Licht-Schatten-Dramaturgie optimal zur Geltung. Die Kamera fängt die Landschaft in ruhigen, gleitenden Breitwandbildern ein, die in abgestuften Grautönen gehalten sind, in denen nur die kräftigen Farben von Nansens Gemälden herausstechen. Auf der Tonebene überzeugt ein hervorragendes Sounddesign, das Musik mit Naturgeräuschen ebenbürtig verbindet und bedrohliche oder beklemmende Stimmungen unterstreicht.

So ist DEUTSCHSTUNDE ein in jeder Hinsicht überzeugender und wichtiger Film, der auch 50 Jahre nach Erscheinen des Romans in eindringlicher Weise die Frage nach den Grenzen der Pflicht und der individuellen Verantwortung stellt.