Deutschland bleiche Mutter

Kinostart: 26.09.80
1980

Kurzbeschreibung

Helma Sanders autobiographisch gefärbte Darstellung der Beziehung ihrer Eltern, ist auch das Portrait zweier Menschen, denen der Krieg keine Zeit zum Kennenlernen ließ.
Prädikat besonders wertvoll

Filminfos

Gattung:Drama; Spielfilm
Darsteller:Eva Mattes; Ernst Jacobi; Elisabeth Stepanek; Angelika Thomas
Drehbuch:Helma Sanders-Brahms
Länge:117 Minuten
Kinostart:26.09.1980
Verleih:Kinowelt
Produktion: Helma Sanders-Brahms Filmproduktion, Helma Sanders-Brahms Filmproduktion, Literarisches Colloquium Berlin, WDR
FSK:16

Jury-Begründung

Prädikat besonders wertvoll

1980 unternimmt Helma Sanders-Brahms den essayistischen Versuch, mit einer Mischung aus Fiktion und dokumentarischem Material in starker Anlehnung an die eigene Familiengeschichte den Weg einer deutschen Frau in den Nationalsozialismus, durch den Zweiten Weltkrieg und die Nachkriegs- und Heimkehrerzeit nachzuzeichnen.

Helma Sanders-Brahms führt ihre Frauenfigur Lene streng im Persönlich-Biografischen, in der direkten Konfrontation mit Menschen ihres Lebensweges, ohne das Personal in besonders ausgestattete zeitgeschichtliche Räume und Orte zu versetzen. Hier nutzt sie zur Vergegenwärtigung der jeweils historischen Situation, insbesondere bis zum Kriegsende geschickt das dokumentarische Material, das sie klug gegen die Fiktion schneidet und es mit ihr verschmilzt. Überlagert wird diese Kombination von Fiktion und dokumentarischem Material mit einer fast collageartig ausgebreiteten Tonspur, die das Klangbild der jeweiligen Szene zur für den Zuschauer vertrauten Klangwelt der jeweiligen historischen Zeit öffnet. So entsteht eine glaubwürdige Dichte aus Fiktion und jedem Zuschauer erinnerbare Wirklichkeit eines Deutschlands, das sich in die Katastrophe aufmacht, das Inferno herbeiführt und schließlich die dadurch hervorgerufenen psycho-pathologischen Folgen zu tragen hat.

Während der erste Teil des Films konsequent die Protagonistin Lene in den Vordergrund stellt und entsprechend bis zur Geburt ihrer Tochter Anna agieren lässt, wird der zweite Teil ebenso konsequent aus der Perspektive der heranwachsenden Tochter Anna gesehen und durchlebt.

Helma Sanders-Brahms gelingt mit den Bildern des Kameramanns Jürgen Jürges ein genaues, im zweiten Teil partiell gedehntes, sehr persönliches Bild einer starken Frauengestalt, die sich aus anfänglicher Verhaltenheit zu einer selbstbestimmten Frau, aber in der Konfrontation mit der kriegsbedingt scheiternden Ehe zum eigentlichen Kriegsopfer entwickelt.

Der denkbaren Larmoyanz einer solchen Entwicklung entgeht die Regisseurin mit den herausragend agierenden Schauspielern, insbesondere Eva Mattes als Lene und Ernst Jacobi als ihr Ehemann. Die Schauspielerführung und die durch sie gezeigten stilistischen Mittel entheben die Geschichte der Gefahr einer pathetischen Opferhaltung wie einer heroinenhaften Überhöhung und lassen die Arbeit von Helma Sanders-Brahms auch nach 28 Jahren als nah und modern erscheinen.