Der junge Törless
Filminfos
Gattung: | Spielfilm |
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Regie: | Volker Schlöndorff |
Darsteller: | Matthieu Carrière; Bernd Tischer; Marian Seidowsky; Alfred Dietz; Barbara Steel; Lotte Ledl |
Drehbuch: | Volker Schlöndorff |
Buchvorlage: | Robert Musil |
Kamera: | Franz Rath |
Schnitt: | Claus von Boro |
Musik: | Hans Werner Henze |
Länge: | 87 Minuten |
FSK: | 18 |
Jury-Begründung
Nach Meinung des Ausschusses ist die Bedeutung dieses Films doppelter Natur. Der Film ist einerseits des genaue Porträt einer Pubertätsbegebenheit, die sich in einem Österreichischen Internat ereignet. Dieses Porträt ist das Ergebnis distanzierter psychologischer Beobachtung und gleichzeitig in allgemeinerem Sinne verbindliche Bildschilderung von Intensität, die im deutschen Film nur selten entsprechende Vergleiche hat. Schon hier, der Beurteilung der Fassade der Geschichte, ist die Regie zu loben, die sich in dramaturgischer Präzision nicht etwa auf ausschweifende sentimental aufgeweichte Psychodramatik einläßt, sondern sich auf eine exakte Bestimmung psychischer Strukturen festlegt. Jede Persson ist genau gesehen, knapp skizziert und in ihrer psychologischen Kontur völlig klar.Wichtiger aber noch ist die eigentliche Fragestellung des Spiels, die das Motiv „Terror" meint und damit über unmittelbare psychologische Beobachtung hinausgreift. Terror ist hier — wie es scheint — als Möglichkeit menschlichen Verhaltens gesehen, das nicht mehr von einem festgefügten moralischen Kodex her berechnet werden kann. Von daher rechtfertigt sich auch die kalte Präzision der Regie, die nicht an Gefühle appelliert, sondern den außerordentlichen Versuch unternimmt, Einsichten zu stiften. Der Schüler Törless reagiert deshalb auf die Grausamkeit seiner Mitschüler, dia einen der Ihren zum Experiment sadistischer Unternehmungen machen, nicht moralisch, sondern philosophisch. Er will nicht urteilen, er will erkennen und notiert als Quintessenz dieser Bemühungen: "alles ist möglich". Aber indem er dies notiert, erhält das Spiel gleichzeitig eine moralische Perspektive. Der Zuschauer wird angeregt, über eine Situation zu reflektieren, in der Motive späteren Grauens (beispielsweise Auschwitz] vorweggenommen erscheinen. Hervorzuheben an diesem Film ist vor allem, daß er das Grauenhafte nicht ästhetisiert, sondern als bestimmendes Motiv in ein künstlerisches Konzept integriert, das den Menschen erklärt. Auf diese Weise ist ein ungewöhnliches Vorhaben angemessen in Szene gesetzt.
Bedeutender Anteil hat daran die Kamera Franz Raths, die es versteht, aus einer Ansammlung von Details ein formal interessantes und inhaltlich genaues Muster menschlicher Verhaltensweisen zu liefern, das keiner Ergänzung bedarf. Auffällig erscheint dem Ausschuß auch die Musik, die in das Spiel nicht etwa als Illusionskulisse, sondern als antreibende dramaturgische Kraft eingespannt ist. So ist dieser Film, der im übrigen von vorzüglich ausgewählten jungen Leuten besetzt ist, die sich — ohne jede Glätte des Sprechens - selbst darstellen und nicht etwa in eine pseudodramatische Allüre entgleiten, ein Unternehmen, das im Bereich der deutschen Filmproduktion Hervorhebung und Anerkennung verdient. Die schauspielerische Führung des Törless und seiner Mitschüler macht im übrigen besonders sichtbar, daß es der Regie nicht darauf ankam, eine spannende Geschichte zu erzählen — obgleich diese in hohem Maße spannend ist —, sondern Menschen in Spielfiguren zu verwandeln, die für ein moralisch-philosophisches Konzept passen. Die Folge ist: Distanz und damit Genauigkeit. Das war offensichtlich nicht zuletzt dadurch möglich, daß die Jungen ihre Schüleruniform nicht wie Kostüm, sondern wie eine ihnen angemessene Haut tragen, die sie fast als subtil angelegte Symbolfiguren erscheinen läßt: als Symbolfiguren, die dem Spiel jenseits aller Emotion intellektuelle Verbindlichkeit sichern.
So ist dies ein Film aus intellektueller Substanz, die sich sinnvoll mit ästhetischem Vermögen verbindet. Die Regie erreicht eine völlige Identität von Inhalt und Form, die der Bewertungsausschuß einmütig mit dem höchsten Prädikat honoriert.