Jury-Begründung
Prädikat besonders wertvoll
Wie viel braucht es, um einen Gegenstand zu animieren? Die Pixar-Studios schaffen immer wieder bunte, komische und grandiose Trickfilmwelten, bei denen die Leinwand so detailreich und komplex mit animierten Figuren und Dingen gefüllt ist, dass man oft gar nicht weiß, wohin man schauen soll. Aber im ersten Kurzfilm des Studios, LUXO JR., war nicht viel mehr als eine einfache Büroleuchte am Computer animiert, und ganz ähnlich wird in DER BLAUE REGENSCHIRM gezeigt, wie wenig nötig ist, um einem Ding Persönlichkeit zu verleihen. Ein in Realfilm aufgenommener Regenschirm bekommt Augen sowie einen Mund und das reicht auch schon. Er ist eher kantig und blau – also männlich, wie spätestens dann klar wird, wenn er über den Köpfen der Menschen im Regen einen schön gerundeten und roten Regenschirm sieht und sich in diesen verliebt. Zwischen den beiden entwickelt sich eine kleine Romanze: ganz ohne Worte, nur durch den Ausdruck der Augen und der Münder erzählt. Die Regenschirme können sich auch nicht frei bewegen, denn ihre Besitzer (von denen man nur Kleidungstücke wie Regenmäntel oder Schuhe sieht) tragen sie auf ihren Wegen durch den Regen – nur zufällig kommen die Schirme sich näher und verlieren sich dann wieder aus den Augen. Aber sie haben Freunde, die ihnen ein wenig helfen, oder zumindest voller Sympathie zusehen: Lüftungsschächte, Ampeln, Uhren und Gullideckel, die das Großstadtleben funktionstüchtig halten, tricksen ein wenig herum, damit das Liebespaar zusammenkommt. Und dies, obwohl der Held zuerst vom Sturm erfasst wird und dann verbogen und schmutzig im Rinnstein landet. Es ist erstaunlich, wie bewegend dieser so minimalistisch animierte Kurzfilm ist. Das liegt auch daran, dass die Schirme ganz in ihrer Welt mit ihren eigenen Gesetzen und Beschränkungen bleiben. Aber wenn es etwa dem Helden peinlich ist, dass er sich überschlägt und man seine Unterseite sieht, ist dies eine anrührende Reaktion. In der Dauer eines kleinen Regenschauers wird hier mit beeindruckender stilistische Reinheit und Phantasie eine „Schirm trifft Schirm“-Geschichte erzählt – darf man auf eine Fortsetzung mit Knirpsen hoffen?