Das ist keine Figur, das ist Verrat
FBW-Pressetext
Stefan hat es geschafft: Sein autofiktionaler Debütroman über den Friseursalon seiner Mutter Melanie wird von einem Verlag herausgebracht, nun steht die erste Lesung an. Melanie könnte stolzer nicht sein. Und so besteht sie darauf, Stefan mit dem Auto am Bahnhof abzuholen und mit ihm durch das Ruhrgebiet bis hin ins wunderschöne Stuttgarter Literaturhaus zu fahren. Doch Stefan ist seine Mutter immer ein bisschen zu laut, zu schrill, zu sehr die Gegend, aus der sie nun mal stammt. Stefan aber ist seiner Herkunft längst entwachsen. Zumindest wünscht er sich das, auch wenn es eine kleine zweifelnde Stimme in seinem Kopf gibt, die sich fragt, ob dieser Wunsch auch fair ist. Gegenüber seiner Mutter – und sich selbst. Eigentlich erzählt DAS IST KEINE FIGUR, DAS IST VERRAT in der Regie von Romina Küper (Drehbuch co-verfasst mit Max Lindemann) eine ganz kleine zwischenmenschliche Geschichte. Doch durch den knallbunten Einstieg, zwei grandiose Darstellende (Sabine Urig und Sebastian Urzendowsky sind beide fantastisch) und eine sehr klug verdichtete Erzähldramaturgie ergeben sich feine Zwischentöne, dazu viele Momente, die nur über Blicke, über Auslassungen und Pausen erzählt werden. Das macht aus dem Kurzfilm ein berührendes Mutter-Sohn-Drama, einen bissigen Kommentar zu einer klassistischen, snobistischen Gesellschaft, in der die hohe Kunst geschätzt und der Mensch an sich ‚abgeschätzt‘ wird – und nicht zuletzt auch einen spannenden Film mit überraschender Wendung. All das in knapp 13 Minuten – einfach großartig!Filminfos
Gattung: | Drama; Kurzfilm |
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Regie: | Romina Küper |
Darsteller: | Sabine Urig; Sebastian Urzendowsky; Michou Friesz; Adriane Gradziel; Serdar Gencol |
Drehbuch: | Romina Küper; Max Lindemann |
Kamera: | Philipp Schaeffler |
Schnitt: | Silvan Marty |
Musik: | Derya Atakan; Demian Martin; DAS BEAT |
Länge: | 13 Minuten |
Produktion: | Filmakademie Baden-Württemberg GmbH |
Jury-Begründung
In diesem bewegenden und zum Teil sehr komischen Kurzfilm wird die Geschichte von einem Sohn und seiner Mutter erzählt. Stefan hat einen erfolgreichen Roman über seine Mutter geschrieben, und mit ihr fährt er zu einer Autorenlesung aus dem Ruhrgebiet nach Stuttgart. Die Mutter arbeitete in einem Frisörsalon, und während der Sohn sich zu einem Intellektuellen entwickelt hat, der in Paris lebt, blieb die Mutter in ihrem proletarischen Milieu verwurzelt. In seinem Roman hat Stefan seine Mutter als eine Karikatur dargestellt, und unter den literaturbegeisterten Frauen, die sich vor der Lesung um ihn scharen, ist sie ihm peinlich. Er verteidigt sie nicht, als sie sich vergeblich gegen die Schmähungen wehrt, die gegen die auf ihr basierenden Romanfigur geäußert werden. Dies ist der eigentliche Verrat des Sohnes, und seine Mutter wendet sich enttäuscht von ihr ab, sodass sie seine Liebeserklärung an sie, die er spontan auf der Lesung vorträgt, um Abbitte zu leisten, gar nicht mehr hört. Mit einer geschickten Dramaturgie, einem Drehbuch, bei dem eine feine Balance zwischen Komik und Tragik gehalten wird sowie einer inspirierten Regie wird hier in knapp 14 Minuten eine komplexe Familiengeschichte erzählt. Lebendig wird der Film auch durch seine beiden gut gecasteten Hauptdarsteller*innen. Sabine Urig gelingt es, die Mutter Melanie so zu verkörpern, dass sie trotz der Campelemente in der Inszenierung nie zu einer Karikatur wird. Stefan Urzendowsky wirkt in der viel undankbareren Rolle des Sohns, der seine Mutter zuerst literarisch und dann auch als realen Menschen verrät, mit all den Schwächen und Eitelkeiten der Figur so menschlich, dass man auch ihm mit Empathie begegnet. Bei der anregenden Diskussion über den Film meinten mehrere Jurymitglieder, sie würden gerne die Weiterführung der Geschichte in einem Langfilm sehen. Ein größeres Kompliment für einen Kurzfilm gibt es kaum.Sehr gerne zeichnet die Jury den Kurzspielfilm mit dem höchsten Prädikat ‚besonders wertvoll‘ aus.