Da kann noch viel passieren

FBW-Pressetext

Dem Regisseur Calle Overweg ist ein außergewöhnlicher Dokumentarfilm gelungen, der sowohl für Kinder als auch für Eltern gleichermaßen interessant ist. Einfühlsam portraitiert der Film vier Jugendliche auf ihrem Weg zur Realschulreife. Er zeigt die Familien und sozialen Hintergründe der Jugendlichen und schafft damit Identifikationsmöglichkeiten für die Zuschauer. Ein besonders gelungenes Stilmittel ist der Einsatz der Off-Stimmen der vier Jugendlichen, die das Gezeigte aus ihrer subjektiven Sicht kommentieren. Ein sympathischer Film voller Empathie.
Prädikat wertvoll

Filminfos

Gattung:Dokumentarfilm
Regie:Calle Overweg
Darsteller:Paul; Nadine; Olek; Mustafa
Drehbuch:Calle Overweg
Länge:89 Minuten
Produktion: Känguruh-Film GmbH, Berlin, WDR
FSK:0
Förderer:BKM; KJDF

Jury-Begründung

Prädikat wertvoll

In dieser Langzeitbeobachtung begleitet Calle Overweg Schülerinnen und Schüler der Heinrich-von-Stephan-Schule in Berlin durch das gesamte 7. Schuljahr. Ein besonderes Schuljahr, denn in der 7. Klasse wird über die weiterführenden Schulen entschieden. Diese Schule verfolgt ein ambitioniertes pädagogisches Konzept für Kinder, die sonst wahrscheinlich schnell zum Scheitern verurteilt wären. Neben Szenen, die die gesamte Klassensituation dokumentieren, konzentriert sich Calle Overweg insbesondere auf die Entwicklung von sechs der Schülerinnen und Schüler, die in ihren Grundschulen hauptsächlich negative Erfahrungen machten: Paul, Nadine, Olek, Mustafa, Pia und Yasmin. Overweg zeigt sie im Klassenverbund, mit den engagierten Lehrern, aber auch in ihrem häuslichen Umfeld.

Der Film erzählt konsequent aus der Perspektive der Schülerinnen und Schüler. Es wird nicht über sie gesprochen, sondern sie sind immer mit im Bild, sind die Handelnden und Reflektierenden. Zeitweise ist ihnen die Anwesenheit der Kamera bewusst und sie spielen mit dieser Situation. Zeitweise, und das insbesondere in emotional fordernden Momenten, scheint sie fast vergessen – und das sind die Momente, in denen der Film eine besondere Intensität entwickelt, den erwachsenen Zuschauer an seine eigene Schulzeit erinnert, an die Lust, die Pein und die Peinlichkeiten, die damit verbunden waren. Die Kamera findet die nötige Nähe zu den Protagonisten und hält doch genug Distanz, um ihnen Raum für ihre Aktionen zu gewähren. Es gibt keinen erklärenden, erwachsenen Kommentar. Die Kinder kommentieren Szenen, in denen sie die Hauptpersonen sind, aus dem Off selbst – und das verhilft dem Zuschauer eindeutig zu weiteren Erkenntnissen über die Denkweise der Schülerinnen und Schüler.

Die Besuche zu Hause, bei den Familien, ermöglichen ein zusätzliches Verständnis für die zum Teil schwierigen Verhaltensmuster der Kinder, die sie selbst als solche erkennen und die sie am Lernen hindern. Gleichzeitig überrascht und bewegt die Zugewandtheit dieser normalerweise eher als bildungsfern benannten Familien zu ihren Kindern.
Das Konzept der teilnehmenden Beobachtung über ein Jahr ermöglicht Calle Overweg die Dokumentation von Entwicklungen, positiven wie negativen. Es birgt in sich aber auch die Gefahr der Wiederholung von Bildern und Gegebenheiten, die zumindest von einem Teil der Gremiumsmitglieder als Längen empfunden wurden. Von der Zielgruppe Kinder ab 9 Jahren kann das durchaus anders wahrgenommen werden. Ein empfehlenswerter Film.