Call of Comfort
FBW-Pressetext
Entspannung ist so wichtig. So essentiell. Es ist einfach wunderbar, dass uns jemand verwöhnt, uns optimiert, uns zur besten Version unserer selbst macht. Damit wir uns gut und wohlbehütet fühlen. Und das Schöne ist ja: Wir selbst müssen so wenig dafür tun. Außer alles von uns offenbaren. Und wenn wir das nicht wollen? Eine Frage, die obsolet erscheint. Denn im Grunde haben wir gar keine andere Wahl. In ihrer Kurzfilmtrilogie CALL OF: BEAUTY / CUTENESS / COMFORT greift die Filmemacherin Brenda Lien immer wieder soziale Medien und ihre Nutzung auf. Hier nun widmet sie sich dem Sammeln und Missbrauch von Nutzerdaten durch die Plattformen selbst. Geschickt wählt sie die subjektive Perspektive, die zeigt, wie sich jemand augenscheinlich von Kosmetikerinnen, die mit beruhigender Stimme reden, verwöhnen und optimieren lässt. Im Hintergrund jedoch laufen Datenprozesse, die nach und nach den Nutzer „entkleiden“, bis hin zur absoluten Verletzlichkeit, die Brenda Lien mit drastischen und damit sehr passenden Bildern untermalt. Von der einsäuselnden Tonspur bis hin zur fein animierten Interface-Visualisierung ist CALL OF COMFORT ein weiterer Beweis für das große künstlerische Gespür Brenda Liens für die digitale Realität und den Menschen, der darin den Überblick und auch sich selbst verliert. Augenzwinkernd böse und komplex intelligent. Großartiges Kurzfilmkino.Filminfos
Gattung: | Kurzfilm |
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Regie: | Brenda Lien |
Darsteller: | Sina Martens; Yodit Tarikwa; Johanna Miller |
Drehbuch: | Brenda Lien |
Kamera: | Brenda Lien; Tim Seger |
Schnitt: | Brenda Lien |
Musik: | Brenda Lien |
Länge: | 8 Minuten |
Verleih: | Kurzfilm Agentur Hamburg |
Produktion: | Brenda Lien |
FSK: | 12 |
Jury-Begründung
Die FBW-Jury hat dem Film das Prädikat besonders wertvoll verliehen.‚Who are your customers? - Get a 360° insight into their intimate thoughts!' - Wirklich sublim ist die Botschaft von Brenda Liens CALL OF COMFORT eigentlich nicht und dennoch steckt ihr Kurzfilm voller Überraschungen.
Mit einem kurzen, Werbefilm ähnlichen, animierten Vorspann führt sie in die Welt des Data-Minings ein. ‚Data Core - High Data you can trust' versucht eine professionelle Sprecherin zukünftige Business-Kunden vom hohen Wert personalisierter, aufbereiteter Daten zu überzeugen, nur um im zweiten Teil von CALL OF COMFORT von der Hinwendung der Firma Data Core zum Endkunden zu erzählen.
Dabei bindet Brenda Lien das Zuschauerinteresse mit der Ästhetik, bzw. Methoden bekannter ASMR Videos. Eine Hand, die mit einem Pinsel schnell mal die Kameralinse streichelt, Atemzüge, Flüstern, Knistern und Rauschen, angenehme visuelle und akustische Reize triggern die Bereitschaft den Anweisungen des Videos folgen zu wollen - offensichtlich bei Beiden, dem imaginierten Kunden Data Cores, wie auch den Zuschauern des Kurzfilms CALL OF COMFORT.
CALL OF COMFORT lässt seine Zuschauer teilhaben am Data-Mining in einer vielleicht nicht mehr allzu fernen Zukunft. Im Film sind die Kunden der Firma Data Core mit sensorischen Implantaten versehen worden, durch die sie sich zu einer illustren Gemeinde zählen dürfen. Die aus den Implantaten gewonnen Daten garantieren ihnen hochwertige, extrem-zugeschnittene, höchst-persönliche Angebote. Dem Unternehmen aber, das besagt der Werbefilm ähnliche erste Teil des Films, ein extremes Customer-Relations-Management, einen gläsernen Kunden und eine unglaubliche Datendichte fürs Business. Das klingt zunächst nach Science-Fiction, funktioniert dennoch überzeugend, weil den Zuschauern einiges, des Gezeigten, nicht fremd ist, auch wenn solche Implantate Fiktion sind.
Wie leicht werden schon heute im Internet ‚Accept'-Buttons geklickt, wie schnell werden dort Cookie-Zustimmungen erteilt, nur um Zugang zu Informationen oder Communities zu erhalten. Wenn die imaginären Verheißungen groß genug sind, werden damit einhergehende Gefahren viel zu schnell akzeptiert.
In der Filmdiskussion hat die Jury die Professionalität des Kurzfilms positiv herausgestellt. Vom Animationsteil zu Beginn bis zum nachfolgenden Realfilmteil beweist CALL OF COMFORT mehr fachliche Kompetenz, als es die Jury von manchen Hochschulfilmen kennt. Sprache, Effekte und Sounds sind hervorragend genutzt. Selbst leise Geräusche und Ausstattungsdetails gut eingesetzt. Mehr noch, Brenda Lien nutzt die ultra-persönliche Ansprache durch ASMR-Effekte zunächst so konsequent, dass Bedenken betreffs der filmischen Distanz zum eigentlich kritisch hinterfragten Themas geäußert wurden. Eine simple, thematische Nachbildung sei letztlich kein Grund für eine Prädikatisierung, gibt die Jury zu verstehen. Und tatsächlich folgt CALL OF COMFORT der manipulativen Ästhetik der ASMR-Vorbilder bis ins Detail. Der Film kann genauso sukzessiv in Bann ziehen und durch seine hypnotisch-sedierende Form auch genauso kritische Auseinandersetzungen vereiteln, wie diese.
Andererseits so gibt die Jury im Verlauf der Diskussion auch zu verstehen, bedarf CALL OF COMFORT genau dieser stilistischen Elemente. Die Ästhetik der ASMR-Filme muss tatsächlich bedient werden, um kompetent über sie diskutieren zu können. Eine Möglichkeit zum Bruch gibt der Film tatsächlich erst spät, im letzten Drittel des Films, dafür aber mit ungeheuerlicher Wucht. Nachdem der imaginierte Kunde mit freundlicher Stimme aufgefordert wird, seine Privatsphäre in einem letzten Schritt komplett aufzugeben, empfängt die Zuschauer die Slow-Mo-Aufnahme einer schmerzhaften Genitalenthaarung. Spätestens an dieser Stelle werden Zuschauer aus der Komfortzone des vorherigen Filmteils gerissen. Der körperlich-schmerzhafte Zugriff verdeutlicht den schmerzhaften, letzten Zugriff auf alle Daten des imaginären Kunden. Das ist raffiniert und auch gendermäßig wundervoll gemacht, da hier ein Mann als Opfer der peinigenden Tortur gewählt wurde.
Wie der Film auf der Leinwand funktioniert, konnte die Jury, den Maßnahmen zur Eindämmung des Covid-19-Virus folgend, nicht erörtern. Die Sichtung erfolgte ausnahmsweise auf Computern und nicht im Sitzungssaal der FBW. Aber vielleicht, so gibt die Jury zu bedenken, funktioniert CALL OF COMFORT sogar auf dem PC-Bildschirm noch besser, da sich Data-Mining genau dort abspielt und nicht im Kinosaal und natürlich auch weil am Computer die bekannten ‚‚Accept'-Buttons fast obligatorisch geworden sind.