Bouchbennersch Otto. Vom Umgang mit Andersartigkeit

Filmplakat: Bouchbennersch Otto. Vom Umgang mit Andersartigkeit

FBW-Pressetext

Otto war eben anders. Sein ganzes Leben lang. Nie hat er irgendwo richtig dazugepasst, obwohl auch er natürlich dazugehören wollte. Hochintelligent war er, ein Denker, vielleicht sogar ein Poet. Im Dorf war er bekannt wie ein bunter Hund. Doch keiner kannte ihn wirklich. Später kam er in ein Arbeitslager, wurde sterilisiert. Er fand den Alkohol, klammerte sich daran. Einige wollten ihm helfen, am Ende musste er ins Heim. Noch heute erinnert sich jeder an Otto. Denn Otto war eben anders. Die Filmemacherin Janina Jung hat mit ihrem Film nicht nur einen besonderen Menschen porträtiert, sondern auch ein ganzes Dorf. Bereitwillig erzählen die Bewohner und erinnern sich. Es sind diese typischen Geschichten, die jeder kennt, der aus einem Dorf stammt. Und daher hat auch jeder schon von jemanden wie Otto gehört. Nichtsdestotrotz war „Bouchbennersch’ Otto“ einzigartig. Auch das wird in Jungs Film klar, der an der Kunsthochschule für Medien in Köln entstanden ist. Jung zeigt viele Bilder, entwirft Kollagen aus seinem Leben, unterlegt die Eindrücke mit Volksliedern, die im sanften ruhigen Pfeifton erklingen. In fast dreißig Minuten taucht der Zuschauer ein in ein Leben, in ein Dorf, in eine Gemeinschaft. Im Dorf hat Otto fast sein ganzes Leben gelebt. In der Gemeinschaft nie. Ein eindrucksvoller berührender Film über einen einzigartigen Menschen und ein Andenken an das Anderssein.
Prädikat besonders wertvoll

Filminfos

Gattung:Dokumentarfilm; Kurzfilm
Regie:Janina Jung
Drehbuch:Janina Jung
Kamera:Janina Jung
Schnitt:Quimu Casalprim i Suárez
Musik:Janina Jung
Länge:29 Minuten
Verleih:Kunsthochschule für Medien Köln
Produktion: Kunsthochschule für Medien Köln
Förderer:Kunsthochschule für Medien Köln

Jury-Begründung

Prädikat besonders wertvoll

Ein Dorf im Westerwald erinnert sich an einen früheren Bewohner des Ortes. Bei diesem handelt es sich allerdings nicht um einen verdienten Honoratioren, nicht um den früheren Bürgermeister, den Lehrer, den Arzt oder Apotheker, sondern um den „Bouchbennersch“ (=Buchbinder) Otto Müller, der 1907 in Emmerichenhain geboren wurde Weil dieser Mann ein wenig anders war als die anderen, blieb er stets ein Außenseiter und hatte dennoch als "Ausscheller", also als eine Art Gemeindediener, der die öffentlichen Bekanntmachungen im Dorf vortrug, eine wichtige Funktion. Die Nazis ließen den „Bouchbennersch Otto“ zwangssterilisieren, er wurde zum Alkoholiker, den die Menschen einerseits mieden, von dem sie sich aber auch im Wirtshaus andererseits gerne unterhalten ließen. Anfang der 1990er Jahre verstarb er schließlich weitgehend vergessen in einem Alters- und Pflegeheim.

Janina Jungs BOUCHBENNERSCH OTTO ist vieles zugleich: Biographische Skizze einerseits, Sozialstudie und historische Recherche / Rekonstruktion andererseits. Weil die Filmemacherin die Menschen des Dorfes, die Otto Müller noch gekannt haben, gut zum Reden bringt, entsteht so, trotz der Abwesenheit des Porträtierten, ein stimmiges Bild eines Menschen, eines Ortes und einer Zeit. Dieses verrät auch, ganz im Sinne des zweiten Teils des Titels, vieles über den Umgang mit der Andersartigkeit.

Dabei fällt auf, dass bei den sorgsam und stets interessant inszenierten Gesprächen das Ungesagte, die Leerstellen des Erzählens und Erinnerns mindestens ebenso wichtig und beredt sind wie das, was gesagt wird. Auf diese Weise eröffnet der Film eine ganze Reihe unterschiedlichster Emotionen, er stellt Anekdoten neben beinahe schamhafte Geständnisse, er erzählt vom Verschweigen, Wegsehen, von individueller Schuld und kollektiver Geisteshaltung, ohne zu verurteilen, aber auch ohne etwas zu beschönigen.

Das eher ruhige und beinahe schon bedächtige Tempo, mit dem der Film bei seinen Nachforschungen über Otto Müller nachgeht, lässt dem Zuschauer genau jene Zeit, die er braucht, um sich auf den langsameren Rhythmus des Dorflebens aus früheren Zeiten einzulassen. Ein sehr gelungener Film, dem die Jury das Prädikat „besonders wertvoll“ verleiht.