Biegen und Brechen
FBW-Pressetext
Alex und seine Mutter, das war ein unzertrennliches Gespann. Zusammen lebten sie im Vogtland, in der DDR, in den 1980er Jahren. Alex‘ Mutter kein politischer Mensch. Doch sie begehrt auf gegen Ungerechtigkeit im Land. Dieses Aufbegehren ist für den Staat ein Zeichen: Diese Mutter kann Alex nicht zu einem „guten“ sozialistischen Bürger erziehen. Und so wird Alex mit elf Jahren seiner Mutter entzogen. Er kommt in ein Kinderheim – und büxt aus. Wieder und wieder. Bis der Staat sich für härtere Bandagen entscheidet. Dann kommt Alex in den Jugendwerkhof Torgau, eine geschlossene Anstalt, schlimmer als ein Gefängnis. Dort versuchten sie ihn zu brechen. So wie viele vor und viele nach ihm. 500.000 Kinder und Jugendliche wurden bis zum Ende der ehemaligen DDR im Jahr 1989 in „Umerziehungslager“ gebracht. Das beispielhafte unfassbare Schicksal von Alex, von dem er selbst in BIEGEN UND BRECHEN erzählt, setzen die Filmemacher Falk Schuster und Mike Plitt mit assoziativ montierten Animationen geschickt um. Erinnerungen an die Kindheit, die Kälte des Kinderheims, das Bedrohliche im geschlossenen Jugendwerkhof, die Anonymität der Gruppe, die Einsamkeit als Strafe – oft blitzen nur gezeichnete und grob schraffierte Symbole auf, die die Tonebene, auf der nur Alex zu hören ist, unterstützen, aber nie vom Gesagten ablenken. Dass Alex heute verheiratet ist und selbst Kinder hat und auch mit seiner Mutter ein gutes Verhältnis hat, ist tröstlich. Dennoch sind seine letzten Worte im Film eine Anklage, dass hier einer Familie ein Teil des gemeinsamen Lebens gestohlen wurde. Ein Verbrechen an der Menschlichkeit, das man nicht wieder gutmachen kann. Und dass man nie vergessen darf. Auch deshalb ist BIEGEN UND BRECHEN ein eindringliches und immens wichtiges Zeitzeugendokument, das gesehen und gehört werden muss.Filminfos
Gattung: | Animationsfilm; Dokumentarfilm; Kurzfilm |
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Regie: | Falk Schuster; Mike Plitt: |
Drehbuch: | Mike Plitt: |
Kamera: | Falk Schuster |
Schnitt: | Julian Quitsch |
Musik: | Hannes Schulze |
Länge: | 8 Minuten |
Produktion: | mobyDOK GmbH |
Jury-Begründung
Alex, der im Vogtland zu DDR-Zeiten mit seiner alleinerziehenden Mutter aufwächst, erzählt uns seine erschütternde Zeit als Kind und Jugendlicher. Der systemkritischen Mutter wird Alex durch die „Jugendhilfe“ entzogen und in ein Kinderheim eingewiesen. Nach mehreren Fluchtversuchen zu seiner geliebten Mutter kommt er zur Strafe in den geschlossenen Jugendwerkhof Torgau. Drill, Gewalt und Missbrauch bestimmen sein Leben dort. Nach seiner Entlassung verweigert er aber im Jugendheim auch weiterhin die Bereitschaft zur „Umerziehung“ und wird wiederum nach Torgau eingewiesen. Auf mehreren Erzählebenen führt uns dieser gestalterisch besondere Film wie in einen Sog, seinen Lebensweg mitzugehen. Seine Erzählung im Off wird durch Zeichnungen parallel animiert auf einem Bild-Tableau begleitet und bekommt dadurch eine erschreckende Eindringlichkeit. Diese Bildebene ist für sich schon ein Kunstwerk bester Qualität. Eindringlich und unter die Haut gehend sind die Erzählungen von Alex, dem seine Kindheit und Jugend und die Bindung zu seiner Mutter geraubt wurde. Es wurde ihm etwas genommen, das er seiner Familie jetzt auf jeden Fall geben kann und will. Und bei aller Tragik hat ihn sein Schicksal stark gemacht. So ist für ihn der Tiger eine Metapher der Stärke, resistent gegen die Umerziehung und stark gegen alle Widrigkeiten zu bleiben. Nur so konnte er überleben. Insgesamt ein formal außergewöhnlich gelungener und sehr wichtiger Film, der uns nicht vergessen lässt, wie rund eine halbe Million Kinder und Jugendliche in der DDR in die Hölle der Umerziehungseinrichtungen geschickt wurden.In Abwägung aller Argumente vergibt die Jury gerne das Prädikat BESONDERS WERTVOLL.