Aysha

Filmplakat: Aysha

FBW-Pressetext

Aysha sitzt im Hof. Der Schleier der schwarzen Niqab ist vor das Gesicht gezogen, nur die Augen sind zu sehen. Mit wilder Entschlossenheit schleudert Aysha mit der Steinschleuder kleine Steine an die Mauer im Innenhof, an der Blut klebt. Als die Mutter kommt und von Aysha und der Schwester verlangt, aus dem Koran zu zitieren, stockt Aysha mitten im Gebet. Denn Aysha will nicht aus dem Koran rezitieren, will nicht die Heimat verlassen, wie die Mutter es aufgrund des ständig drohenden Kriegs verlangt. Und vor allem will Aysha kein Mädchen sein. Cengiz Akaygün inszeniert seinen Kurzspielfilm als Kammerspiel im Innenhof eines vom Krieg zerstörten Hauses. Obwohl kein genauer Ort genannt wird, schafft es der Film, über die Tonebene mit Geräusche von nahenden Kampfflugzeugen die akute Bedrohung eines Krieges unabhängig vom exakten Handlungsort deutlich zu machen. Akaygün versetzt den Krieg in die Keimzelle der Familie und macht durch nur wenige Dialoge die ganze Komplexität und Ausweglosigkeit der Situation deutlich. Obwohl ein entscheidender Plot-Twist bereits zu Beginn des Films die Handlung in eine andere Richtung dreht, erhält der Film seine Spannung, auch durch eine exakte Montage und eine sehr gute Schauspielführung. Ein wichtiger Kurzfilm, der klare Stellung zu seinem Thema bezieht und es gleichzeitig facettenreich erzählt.
Prädikat besonders wertvoll

Filminfos

Gattung:Drama; Kurzfilm
Regie:Cengiz Akaygün
Darsteller:Jiyan Akaygün; Halima Ilter; Ecem Türkmen
Drehbuch:Cengiz Akaygün
Kamera:Kevin Hartfiel
Schnitt:Ana Rocha Fernandes
Musik:Conrad Oleak
Webseite:freemonkey.art;
Länge:12 Minuten
Produktion: Free Monkey Film Cengiz Akaygün

Jury-Begründung

Prädikat besonders wertvoll

Der Kurzfilm AYSHA von Cengiz Akaygün zeigt einen Moment im Leben einer kurdischen Familie im kriegserschütterten Syrien. Während die Mutter von ihren vollverschleierten Töchtern Koransuren abfragt, hören wir Kampfflugzeuge darüber fliegen und sehen einen Blutfleck an der Mauer.

Die zweite Tochter sträubt sich gegen die Übung, denn sie möchte lieber wieder mit ihrer Steinschleuder spielen. Bald wird deutlich, dass sich unter dem Schleier ein Junge verbirgt, der als Mädchen getarnt werden soll. Er wolle lieber für sein Land kämpfen – wie sein Vater, der von den Milizen ermordet wurde. Der Blutfleck stammt noch von der Hinrichtung. Als die Mutter nachdrücklich wird, schlägt er sie mit einem Stein.

Diese Eskalation zeigt der Film in langen, intimen Blicken in die Gesichter der drei Darsteller:innen. Schließlich fügt sich der Junge AYSHA seiner Mutter, und die vaterlose Familie verlässt den Hof. Zurück bleibt die Steinschleuder – das Zeichen eines verzweifelten, zivilen Widerstandes.

AYSHA ist ein sehr dichter und pointiert inszenierter Kurzfilm über das Schicksal der kurdischen Minderheit in Syrien. Der Islam wird nur als Tarnung angenommen, um unerkannt flüchten zu können. All das wird in kürzester Zeit angedeutet: das Verlusttrauma, die Enge des Innenhofes, das Verlassen des eigenen Hauses, die latente Präsenz des Krieges.
Die Jury diskutierte einige Aspekte, etwa die Eindeutigkeit des Films in seinen Aussagen, dass er die Wandlung des Junge etwas zu kurz verhandelt; doch es ist fraglos anzuerkennen: Formal und inhaltlich schlüssig und gut gerahmt, bild- und tonästhetisch überzeugend und schauspielerisch stark, eignet sich der Kurzfilm als eine gute Diskussionsgrundlage, zumal das letzte Bild der Steinschleuder sowohl als Abschied von der Heimat und Kindheit gesehen werden kann, wie auch die Ankündigung, dass die Saat der Gewalt noch aufgehen könnte.

Mit deutlicher Mehrheit verleiht die Jury dem Film das Prädikat: besonders wertvoll.