Augenlied

Kinostart: 09.10.03
2003
Filmplakat: Augenlied

FBW-Pressetext

Die Welt der Blinden für die Sehenden zu erschließen, ist das Ziel dieser mit großem Einfühlungsvermögen gestalteten, dokumentarischen Reise durch Europa, die nicht Mitleid, sondern Einsichten evoziert.
Prädikat besonders wertvoll

Filminfos

Gattung:Dokumentarfilm
Regie:Mischka Popp; Thomas Bergmann
Drehbuch:Mischka Popp; Thomas Bergmann
Länge:94 Minuten
Kinostart:09.10.2003
Verleih:GMfilms
Produktion: Pilotfilm GmbH, ZDF; Arte;

Jury-Begründung

Prädikat besonders wertvoll

Ganz besondere Menschen sind es, die Blinden. Und ganz besondere haben die Dokumentaristen Mischka Popp und Thomas Bergmann quer durch Europa gefunden und in diesem im wahrsten Sinne erhellenden Film versammelt. Die Sprachgewalt dieser blinden Menschen ist es und die filmische Bündelung, die da eine Welt erhellt, die uns Sehenden verborgen ist - und die wir gerne und gewohnheitsmäßig ignorieren. Das Schicksal der Blindheit, das lehrt der erstaunliche Film, kann eine Bereicherung, sie muß keine Verarmung sein. Lebensmut und Lebensfreude, viel Lachen und Lächeln und immer wieder Musik und Klang bestimmen die auch filmästhetisch anregende Reise in die Dunkelheit.
Aber bedeutet Blindsein denn auch Schwärze? Tut es nicht, sagen uns die auskunftgebenden „Augenzeugen“.

"Die Leute übertreiben die Blindheit. Ich bin ein glücklicher Mensch“, sagt der britische Philosoph John Hull, der als sprachmächtiger Poet immer wieder im Film zu Wort kommt und manchen Zusammenhang erhellt. Etwa, warum man mit geschlossenen Augen küßt, warum Liebe zu Recht “blind macht“ und was es heißt, wenn ein Blinder mit einer sehenden Frau zusammenlebt. John Hull kann auch versinnlichen, was blind zu werden bedeutet, was da an Weltwahrnehmung sich verändert. Er sagt: „Die Sehenden wissen wenig vom Sehen, es gibt mehrere Welten, nicht nur die sichtbare. Meine ist voller Reichtum.“
„Die Blindheit hat mir vieles ermöglicht“, sagt eine in der Türkei geborene und nun in Frankfurt lebenden Frau. Erschießen wollte sich damals der mit 19 Jahren im Krieg blindgeschossene Günther Wieland, der traumsicher Schlittschuh laufend den bewegenden Film eröffnet, drei Kinder von drei Frauen und vier Enkel hat. Keinen Begriff von ihrer Schönheit hat die blonde und blauäugige Fernsehnachrichtensprecherin Nuria del Saz aus Sevilla. Das Geigenspielen brachte sich der kleinwüchsige und verkrüppelte Roma Stefan aus Krakau selber bei, zum „Vögelchen“ macht ihn seine von Profis bewunderte Musik. Piotr lenkt und steuert in seinen Träumen einen Bus oder eine Straßenbahn, seine Lebensgefährtin Renata findet ihre Erfüllung im Gesang. „Haben Sie unser Licht gesehen?“, fragt Tamara in St. Petersburg. Oleg dort betreibt voller Leidenschaft eine Druckerei für Romane in Blindenschrift. Die spontanen Kinder einer Blindenschule und ein Theatermann aus Berlin runden den erstaunlichen Film ab.
Sensibel geht der rundum gelungene, sorgfältigst gestaltete Film mit den Interviewten um, behutsam öffnet er Fenster in eine reiche, in eine größere Welt. Die kluge Montage, die sorgfältige Kameraarbeit, die sinnliche Ton- und Musikebene, die traumschönen Landschaftsaufnahmen, das Zusammenwirken all der filmischen Elemente gewähren ein „Mehr“ an Erfahrung und Anschauung, an Schönheit und Lebenslust. So ist dieser Film über Blinde in Wirklichkeit einer über das Sehen - über das Glück der Wahrnehmung. Wahrhaft ein „Augenlied“.