Asteroid City
FBW-Pressetext
Der neueste Ensemblefilm von Wes Anderson. Verspielt, symmetrisch, farbenfroh. Ein Feuerwerk für Filmliebhaber.Asteroid City, Farm Route 6, Kilometer 120. Akt I. Tag. Amerikanische 50er-Jahre-Ästhetik. In der abgelegenen Wüstenstadt Asteroid City findet mit dem Junior-Stargazer-Kongress das nächste Großevent in der Einöde statt, nach dem Einschlag eines Asteroiden vor Ort vor tausenden von Jahren. Familien junger Nachwuchswissenschaftler:innen, Astronomen, Lehrende und das Militär versammeln sich – alle Außenseiter für sich. Beim Gedenken an den Einschlag des Asteroiden überschlagen sich allerdings die Ereignisse, als ein Alien in die Veranstaltung platzt und kurzerhand den Asteroiden stiehlt. Der erste Kontakt? Die Welt in Gefahr? Eine Sperrzone muss her. Fortan geht niemand mehr in der Wüstenstadt ein oder aus und das kosmische Kammerspiel bahnt sich seinen Weg.
Wes Anderson komponiert seinen neuesten Ensemblefilm als farbenfrohes Theaterstück innerhalb eines Fernsehberichts innerhalb eines Films und liefert damit ein Werk, das sich fern einfacher Erzählmuster auf unterschiedlichen Rezeptionsebenen bewegt. Ob in den tableauhaften symmetrischen Bildkompositionen, den minutiös rechtwinkligen Kamerafahrten oder der liebevollen Detailverliebtheit im trockenen Humor der Dialoge – ASTEROID CITY erschafft eine Filmwelt, so vielschichtig und berauschend, dass es Jahre dauern könnte, jedes kleinste Detail, jedes Filmzitat oder jede skurrile Absurdität der Filmfiguren zu entziffern. So schöpft Anderson buchstäblich aus der gigantischen Vielfalt der Möglichkeiten des Films und widmet den Sci-Fi-Katastrophenfilmen der 50er-Jahre eine Hommage par excellence. Filmstars wie Jason Schwartzman, Scarlett Johansson, Tom Hanks, Tilda Swinton, Edward Norton, Willem Dafoe, Margot Robbie oder Jeff Goldblum geben sich wie selbstverständlich die Klinke in die Hand und hauchen der kargen Wüstenlandschaft Leben ein. Eine weitere Hauptdarstellerin des Film ist aber zweifelsohne die Kulisse, die in ihrer puppenhausartigen Präsentationen und farbenfrohen Ästhetik danach schreit, mit Blicken erkundet zu werden. Anderson vermittelt dem Kinopublikum hier ein Gefühl des Spielerischen, als würde sich die Geschichte in Asteroid City im eigenen Kinderzimmer entspinnen. Und so ist der neuerliche Ausflug in die imaginierte Welt des amerikanischen Films dank Wes Anderson quadratisch, praktisch, BESONDERS WERTVOLL.
Filminfos
Gattung: | Komödie; Spielfilm |
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Regie: | Wes Anderson |
Darsteller: | Margot Robbie; Tom Hanks; Scarlett Johansson; Tony Revolori; Steve Carell; Tilda Swinton |
Drehbuch: | Wes Anderson; Roman Coppola |
Kamera: | Robert D. Yeoman |
Schnitt: | Barney Pilling |
Musik: | Alexandre Desplat |
Webseite: | focusfeatures.com; |
Weblinks: | kinofans.com; |
Länge: | 105 Minuten |
Kinostart: | 15.06.2023 |
Verleih: | Universal |
Produktion: | Focus Features, Indian Paintbrush; American Empirical Pictures; |
FSK: | 12 |
Jury-Begründung
In mehr als 20 Jahren des Filmemachens hat Wes Anderson beinahe schon so etwas wie ein eigens Genre geschaffen. Anderson-Filme sind unverwechselbar, das fängt beim skurrilen Drehbuch an, geht über ein genauso eigenwilliges wie treffsicheres Set-Design und endet mit einem wahrlich hochkarätigen Cast. Das ist bei ASTEROID CITY nicht anders. Anderson inszeniert (und dies in der ganzen Vielfalt des Wortes) eine fiktive Begebenheit in einem genauso fiktiven Wüstenort der USA, an dem sicherlich auch John Ford seine Freude gehabt hätte. Und dennoch, wie bei Anderson üblich, hätte alles auch genau so sein können. Nicht alles zusammen, aber doch so einige dieser wunderlichen Begebenheiten.Diesmal entführt Anderson in die 1950er Jahre. Hollywood, Cowboys, Atombombentests und der obligatorische Wüsten-Highway sind nur einige der Zugaben zum Film. In dieses Setting geraten ein Haufen junger Forscher mitsamt ihren Familien, ein Alien und dann natürlich das selbstbewusste Militär, das den Ort kurzerhand von der Außenwelt abzuschirmen beginnt. Aber nicht allein der Inhalt macht einen Film von Wes Anderson aus, sondern immer auch dessen eigentümliche Ästhetik. Diesmal inszeniert er die Welt der 1950er Jahre in pastellfarbenen Tableaus. Jede Einstellung könnte ein Filmstill zu einer dieser 1950er Jahre Cinemascope-Produktionen sein, ein Diorama oder ein Hopper-Gemälde, zumeist symmetrisch, immer aber peinlich genau konzipiert, von der gigantischen Hintergrundkulisse bis hin zu den posierenden Akteuren im Vordergrund. Diese Retro-Ästhetik dient jedoch nicht allein der Optik. Wes Anderson zitiert nicht bloß, sondern hält Hollywood einen Spiegel vor.
Insbesondere die Auftritte seiner männlichen Figuren scheinen zunächst glänzend kopiert. Ikonische Charaktere mit ausdrucksstarker Mimik und Gestik. Ein Mechaniker, der über das winzige Schräubchen eines Autos sinniert, als hielte er die Lösung aller Energieprobleme in der Hand, ein Fotograf, der jedes noch so bescheidene Telefonat führt, als wolle er den Befehl zum Drücken des Roten Knopfs geben. Männer, die mit jeder Pose die Welt des amerikanischen Films beschreiben und sich letztlich doch nur als Abziehbilder outen. Anderson hat in jedem Fall seine Vorbilder gut studiert. Szene für Szene ist so komponiert, dass sie immer die amerikanische Filmwelt von einst durchscheint. Aber die Welt, in der Männer alles bewegen konnten, nur weil sie dem „starken Geschlecht“ angehört haben, gerät in ASTEROID CITY zur Farce. Andersons Figuren sind nicht identifikatorisch. Ihr Heroentum offenbart sich letztlich als Unfähigkeit zu Gefühlen, ihr Hang zum Kontrollieren offenbart den Zwang zu Organisieren und Berechnen und über allem und allen schwebt die permanente, unverwechselbare Melancholie der Wes Anderson-Filme.
Auch wenn sich ASTEROID CITY manchmal an sich selbst zu berauschen scheint, ist Andersons neuer Film niemals farblos oder langatmig. Im Gegenteil, die Jury hat sich fortwährend angeregt gefühlt, den Film zu analysieren. Das mag zumindest auch auf die Rahmenhandlung zurückzuführen zu sein. Anderson bietet die Wüstenhandlung in einem Fernsehspielszenario an. Gleich zu Beginn des Films lässt er einen Sprecher in einer monochromen Einstellung erklären, dass die nachfolgenden Szenen erfunden sind. Immer wieder kehrt Anderson in die schwarz-weiße Rahmenwelt zurück, in der er seine Zuschauer am Leben der eigentlichen Darsteller teilnehmen lässt, an deren Zweifeln am Film und auch (ein Verweis auf Rock Hudson, Van Johnson oder Montgomery Clift sei erlaubt) auf das zerrissene Seelenleben derer, die auf der Leinwand als superpotente Machos zu sehen waren und sich versteckt, im Privaten, der queeren Community zugewandt haben.
Irgendwo zwischen Science-Fiction, Gesellschaftsdrama und cleverer Absurdität angesiedelt, verspricht die Handlung ausgezeichnete Unterhaltung. Auch wenn sich seine Zuschauer bisweilen fragen mögen, was der Sinn des Filmes ist, wird er nicht langweilig. ASTEROID CITY ist vom Setting, über die Beleuchtung, den Schnitt, bis hin zu Besetzung und Musik eine pfiffige Komödie, die sicherlich auch nach dem zweiten oder dritten Mal anschauen noch immer neue Details preisgibt. Besonders erwähnen möchte die Jury hier auch die ausgezeichnete Synchronisierung.
ASTEROID CITY ist sicherlich nicht so gefällig, wie MOONRISE KINGDOM oder THE GRAND BUDAPEST HOTEL. ASTEROID CITY ist der bislang radikalste Film aus dem realitätsbrechenden Anderson-Universum. Aber auch wenn er hin und wieder etwas schwerer zugänglich ist, lohnt es sich, den Film zu schauen. Entweder indem man ihn einfach nur genießt oder aber und viel besser noch: indem man Spaß daran hat, ihn auch noch Stück für Stück zu dechiffrieren. Nach einer lebhaften Diskussion vergibt die Jury daher gerne das Prädikat BESONDERS WERTVOLL.