Jury-Begründung
Prädikat besonders wertvoll
Agnieszka bewegt sich wie eine Kämpferin. Ihre sportlich praktische Kleidung trägt sie wie eine Rüstung und die große Mütze sitzt auf ihrem Kopf wie ein Helm. Vor allem mit ihrer Körpersprache macht Karolina Gorczyca in der Titelrolle deutlich, wie eine fünfjährige Haftstrafe eine junge Frau prägen kann. Agnieszka hat das Zuschlagen gelernt. Aus Liebe ist sie für ihren damaligen Freund ins Gefängnis gegangen. Nach der Freilassung führt einer ihrer ersten Wege zu ihm und in einer brutalen Szene, die der Regisseur nur indirekt, dadurch aber nicht weniger wirkungsvoll inszeniert, macht sie ihm und den Zuschauern deutlich, dass sie sich nichts mehr gefallen lässt. Tomasz E. Rudzik arbeitet mit harten realistischen Bildern, mit denen er nicht nur die Charaktere, sondern auch ihr Milieu authentisch und mit einer fast dokumentarischen Präzision darstellt – sei es die ärmlich triste Familie von Agieszka, in der sie ihren kleinen Bruder vorerst zurücklassen muss oder die verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen und Wohngebiete von München, wo Agnieszka nach ihrer Flucht aus Polen bald von einer alten Frau, die „Madame“ genannt werden will, wie eine verlorene Tochter aufgenommen wird. Bald arbeitet sie als Escort Domina - also in einem Job, für den ihre aggressive Wachsamkeit sich ideal eignet. Sie scheint sich perfekt einzufügen und kann auch gut mit der Eifersucht des Sohns der alten Frau umgehen, doch dann verliebt sich ein 16jähriger Junge aus gutem Hause in sie, und schnell zeigt sich, dass Madame dieses Verhältnis nicht dulden kann. Agnieszka ist zwischen der reinen und bedingungslosen Liebe des 16jährigen und dem auf Gewalt und Verrat basierenden Verhältnis zu Madame hin und her gerissen. Eine der Stärken des Films ist das Drehbuch von Rudzik, der ein Talent dafür hat, originelle Szenen zu erfinden, in denen sich die Persönlichkeiten und Gefühlszustände der Protagonisten oft schlagartig offenbaren. Als Regisseur kann er vor allem in seinen Stadtbildern poetische Stimmungen schaffen, aber es gelingen ihm auch hochdramatische Szenen, wobei er Gewalt und Sexualität nicht plakativ darstellt, sondern erfindungsreich andeutet. Mit der in allen Rollen perfekt wirkenden Besetzung, der einfühlsamen Schauspielerführung, der atmosphärischen Kamera und der angenehm unaufdringlichen Filmmusik ist AGNIESZKA wie aus einem Guss. „Besonders wertvoll“ auf allen Ebenen.