Jury-Begründung
Prädikat besonders wertvoll
Sie lehren schon und lernen noch, unterrichten als Referendare Schulkassen und müssen nach einem Jahr selber ihr Examen bestehen. Der Film ZWISCHEN DEN STÜHLEN begleitet drei angehende Lehrer auf diesem schwierigen und widersprüchlichen Weg. Dabei kommt Jakob Schmidt ihnen, aber auch ihren Schülern, Familienangehörigen und einigen erfahrenen Lehrern an ihren Schulen erstaunlich nah und bietet so einen authentischen und nuancierten Blick darauf, wie an deutschen Schulen heute gelehrt wird und wie belastend der Beruf des Lehrers in diesen Zeiten ist. Schmidt hat seine Protagonisten gut gewählt, denn sie arbeiten nicht nur in verschiedenen Schulsparten, sondern reagieren auch, ihren Temperamenten entsprechend, sehr unterschiedlich auf den Stress, dem sie bei der Arbeit ausgesetzt sind. Die eine ist unsicher und oft verzagt, die andere ist selbst Tochter einer Lehrerin, wodurch ihre zwiespältige Situation zuhause noch einmal gespiegelt wird. Dies wird in einer zugleich komischen und berührenden Szene deutlich, in der die Mutter abends zuhause die Texte der Tochter korrigiert. Der männliche Protagonist unterrichtet an einem Gymnasium und scheint unter den dreien der Musterlehrer zu sein, bis sich herausstellt (und Schmidt hält diese Information dramaturgisch geschickt lange zurück), dass er selber ein Schulversager war, was seine Disziplin und Strenge noch außergewöhnlicher wirken lässt. Im Laufe des Jahres stoßen alle drei an ihre Grenzen, müssen Krisen bewältigen, und sowohl als Lehrer wie auch als Prüflinge Niederlagen einstecken. Auf dieser Ebene funktioniert der Film als ein Drama, in dem man mit den bedrängten Helden bangt und ihnen wünscht, dass sie alle Hindernisse überwinden. Schmidt erzählt das sehr filmisch, mit Aufnahmen, bei denen der Kameramann ein gutes Auge für Details hat und die mehr erzählen können als ein Text im Off, auf den Schmidt ganz verzichtet. Der Film nimmt sich zudem Zeit für längere Sequenzen, die nötig sind, um deutlich zu machen, welchem Druck die Protagonisten standhalten müssen. Auf einer anderen Ebene wird hier auch von den Fehlentwicklungen des deutschen Schulsystems erzählt. Ein Lehrer bringt dies auf den Punkt, wenn er sagt, dass heute in den Schulen nur die Mittelmäßigen gefördert werden. Ein brillanter Jugendlicher wird da genauso wenig gefördert wie ein Schüler mit Lernproblemen. Diese Problematik wird auch dadurch gespiegelt, dass der Gymnasialreferendar in seinen Deutschstunden den Roman „Unterm Rad“ von Herman Hesse durchnimmt, in dem davon erzählt wird, wie in einer deutschen Schule die jungen Menschen „wie ein Urwald“ kultiviert und normiert werden sollen. Er diskutiert darüber nicht nur mit der Klasse, sondern zitiert später auch aus dem Buch, um seine eigene Situation zu beschreiben. Der Film ist gefüllt mit solchen klugen und überraschenden Reflexionen und Spiegelungen. Dazu zählen auch schön gewählte Detailaufnahmen aus den Schulräumen, wie etwa von einem Käfig, in dem ein Hamster im Laufrad gezeigt wird. So überrascht der Film immer wieder dadurch, dass er neue Aspekte und Perspektiven in den Film einführt, ohne dabei je den Blick auf seine drei Helden zu verlieren. Eine von ihnen fragt sich, ob sie den Stress dieses Berufs für die nächsten 35 oder auch nur 5 Jahre aushalten wird. Nach diesem Film wüsste das Publikum dies auch gerne. Jakob Schmidt hat hier den sehr fruchtbaren Keim für eine über Jahrzehnte gehende Langzeitbeobachtung gelegt.