Westwind

Kinostart: 25.08.11
2011
Filmplakat: Westwind

FBW-Pressetext

Die Zwillingsschwestern Doreen und Isabel reisen Ende der 80er Jahre aus der DDR gemeinsam in ein ungarisches Sommerlager am Balaton, wo sie für Rudermeisterschaften trainieren wollen. Nichts kann ihre Zweisamkeit stören, bis eines Tages ein paar Hamburger Jungs in ihr Leben treten und die Mädchen dazu verführen, nachts heimlich aus dem Ferienlager auszubrechen, um ein bisschen Spaß zu haben. Doch aus Spaß wird Ernst, als Doreen sich in einen der Jungs verliebt und mit ihm in den Westen fliehen will. Ein deutsch-deutscher Sommer vor der Wende aus dem Blickwinkel der Jugendlichen. So erzählt Regisseur Robert Thalheim die Geschichte der ungleichen Zwillingsschwestern. Politik und gesellschaftsrelevante Themen werden in diesem frischen Melodram nur gestreift und vermitteln sich eher nebenbei, viel wichtiger ist die private Geschichte unter den Bedingungen der deutschen Teilung. Sonnige, stimmige Bilder und eine authentische Ausstattung erschaffen zusammen mit passendem Soundtrack das Lebensgefühl der 80er Jahre. Nostalgisches Gefühlskino mit grandiosen sympathischen Darstellern.

Filminfos

Gattung:Melodram; Spielfilm
Regie:Robert Thalheim
Darsteller:Friederike Becht; Luise Heyer; Franz Dinda; Volker Bruch; Hans-Uwe Bauer; Hannes Wegener; Albrecht Schuch
Drehbuch:Ilja Haller; Susann Schmink
Kamera:Eeva Fleig
Schnitt:Stefan Kobe; Oliver Grothoff; Christoph Sturm
Musik:Christian Conrad
Länge:89 Minuten
Kinostart:25.08.2011
Verleih:Zorro
Produktion: credo:film GmbH, ZDF; Arte;
FSK:6
Förderer:DFFF

Jury-Begründung

Prädikat besonders wertvoll

Ungarn zu Zeiten der DDR. Hier konnten sich Ost- und Westdeutsche zufällig über den Weg laufen und die Unterschiede der Systeme drückten sich eher durch modische und verbale Unterschiede aus als durch unterschiedliche politische Ansichten.
In diesem Stück (Reise-)Freiheit ist die „Coming of Age“-Geschichte der beiden Zwillingsschwestern angesiedelt, die zu den großen sportlichen Hoffnungsträgern der DDR zählen. Sie stehen unmittelbar vor dem Sprung nach Berlin, dem sportlichen Aufstieg zu prestigeträchtigen nationalen und evtl. ja auch internationalen Wettkämpfen. Dass die historischen politischen Verhältnisse als Bühne verwendet werden, ohne sie immer wieder im Detail zu erklären, macht den Film für Zuschauer interessant, lädt zum Mitdenken und persönlichen Erinnern ein. Zugleich hebt sich der Film konsequent von einfach gestrickten Komödien ab, die ihren Humor aus einem billigen „Clash“ der Kulturen ziehen. Der Humor ist fein eingestreut, die Charaktere sind bis in die Nebenrollen glaubhaft angelegt und verfügen über individuelle Tiefe. Alle Figuren sind unprätentiös gezeichnet und beziehen besonders hieraus ihren Charme.
Drehorte und Ausstattung sind perfekt, die Zeitreise in das Ungarn kurz vor der Wende ist in jeder Hinsicht überzeugend und auch die peinlichen modischen Exzesse der westdeutschen Diskobesucher dienen nur der historischen Einordnung und nicht als Vorlage für oberflächliche Lacher. Kulturelle Unterschiede sind keine Running Gags, sondern einfacher Alltag.
Das Drehbuch und die Bildsprache sind sorgfältig aufeinander abgestimmt. Die bis zu diesem Pionierlager unzertrennlichen Zwillingsschwestern, stets einig in ihren Urteilen, Zielen und Gefühlen, werden erstmals mit individuellen Empfindungen konfrontiert. Und im gleichen Maße, wie sie sich innerlich unterschiedlich entwickeln, werden sie auch immer distanzierter voneinander in Szene gesetzt. Der synchrone Ruderschlag des Zweiers ohne gerät aus dem Takt und irgendwann trainiert Isa alleine im Einer – erfolgreich. Es gibt also auch ein individuelles Ich im bisherigen Wir.
Eindrucksvoll gelingt es dem Regisseur, den Kampf der Zwillinge mit den eigenen Gefühlen und die womöglich erste und gleich ganz große Liebe glaubhaft zu inszenieren und dabei deutlich zu machen, dass die unterschiedlichen Entwicklungen der Schwestern nicht mit politischer Ideologie oder wirtschaftlichem Opportunismus verknüpft sind. Hier werden die ganz großen Entscheidungen des Lebens getroffen, ohne dabei auf die Gefühlsdrüse zu drücken.
Geprägt wird der Film von einer stets mitschwirrenden Bedrohung durch Diffamierung, wobei auf den Einsatz des stereotypen Stasi-Verräters aber konsequent verzichtet wird. Die mit einem perfekten Gefühl für Timing inszenierte Flucht gerät schließlich zu einem Wettlauf mit der Zeit. ,ohne zu einem klassischen Krimi heraufstilisiert zu werden. Die finale Einblendung, dass die Mauer ein Jahr später geöffnet wurde, entlässt den Zuschauer mit dem Gefühl der Erleichterung, da die staatlichen Repressalien gegenüber der zurückgeblieben Schwester sich zumindest zeitlich in einem erträglichen Rahmen abgespielt haben.
Dieser Film nimmt den Zuschauer äußerst gekonnt und angenehm berührend auf eine Zeitreise mit, die atmosphärisch dicht erzählt ist und der es gelingt, individuelle Schicksale im Schatten eines repressiven politischen Systems zu verorten, ohne jede (N)Ostalgie oder westliche Überheblichkeit herauszukehren. So sehr es den Zuschauer auch interessieren mag, was aus beiden Schwestern geworden ist, so konsequent ist es, die Zukunft komplett auszublenden. Denn das ist eine andere Geschichte, die den Rahmen dieses Films gesprengt hätte. Manchmal ist weniger eben wirklich mehr.