Anton ist Sektionsgehilfe in der Pathologie. Für ihn ist es Alltag, dem Tod zu begegnen. Denn jeden Tag seziert er verstorbene Menschen. Dazu kommen die Gespräche mit den Angehörigen, die Verwaltungsarbeit und all die kleinen Dinge, die dazugehören, wenn Arbeit nun einmal Routine ist. Nur manchmal, wenn Anton es zulässt, wenn er innehält und wenn er sich erlaubt, darüber nachzudenken – dann fühlt er, wie sehr ihn alles belastet. Doch allzu oft kann er sich dies nicht gestatten. Denn das Leben geht ja weiter. Auch wenn es sich um den Tod dreht. In ihrem 19minütigen Kurzfilm beschreibt die Regisseurin Ulrike Vahl die Arbeit in der Pathologie auf eine derart authentische Art, dass der Zuschauer fast vergisst, dass es sich hier um einen Spiel- und nicht etwa um einen Dokumentarfilm handelt. Die Dialoge sind sparsam eingesetzt, die Schauspieler agieren zurückgenommen, die Kamera zeigt das Geschehen, hält sich aber stets mit der Beobachtung im Hintergrund. Und wie auch das Thema des Films, so ist auch die Erzählhaltung entschleunigt, friedvoll und ruhig. Nur kurz blitzt etwas wie ein Konflikt auf. Denn die beiden Hauptfiguren, Anton und Eva, seine Kollegin, führen einen kurzen Dialog. Einen Dialog, der ganz nebenbei zentrale Konflikte aufblitzen lässt. Und der ganz subtil die Oberfläche der Figuren durchbricht. Dirk Borchardt und Claudia Geißler fügen sich mit ihrem minimalistischen und doch eindrucksvollen Spiel ganz in die Szenerie ein, werden zu glaubhaften Elementen in einem glaubhaften Setting, zu dem auch die farbentsättigten Kameraaufnahmen passen. PEIN ist überzeugendes Kurzfilmkino. Unaufgeregt, undramatisch und doch unwahrscheinlich intensiv.
Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF, Ulrike Vahl
Jury-Begründung
Prädikat besonders wertvoll
Auf den ersten Blick wirkt PEIN wie eine Dokumentation. Ulrike Vahl zeigt die Arbeitsgänge, die in einer Pathologie ausgeführt werden. Im kalten Licht des Kellers werden die Leichen gelagert und so hergerichtet, dass die Lebenden von ihnen Abschied nehmen können. Die Filmemacherin schaut genau hin, erspart dem Zuschauer aber verstörende Einblicke. Statt dessen gelingt es ihr, mit genau komponierten Bildern die Stimmung dieses Ortes spürbar zu machen, an dem der Tod allgegenwärtig ist und sich die Menschen mit einer professionellen Effizienz an ihm abarbeiten. Einer von ihnen ist Anton, und die Kamera ruht oft und lange auf seinem Gesicht, auf dem sich abzeichnet, was für eine Qual es für ihn ist, sich ständig mit dem Tod beschäftigen zu müssen. Er ist es, der im täglichen Umgang mit den Hinterbliebenen deren Trauer miterlebt und die Rituale des Abschiedsnehmens für sie vorbereitet. Wie sehr er sich bei seiner Arbeit abschottet und dort keine Gefühle zulässt, wird in der Szene deutlich, in der er die freundlichen Annäherungen einer Kollegin schroff, ja verletzend abweist. PEIN ist eine subtil gestaltete wirkende Charakterstudie, in der Dirk Borchardt als Anton, aber auch die anderen Darsteller absolut authentisch wirken. Ein stiller Film, in dem klug und künstlerisch überzeugend von einem realen Zwischenreich erzählt wird, in dem sich die Toten und die Lebenden begegnen.