Jury-Begründung
Prädikat besonders wertvoll
Der Weg zur Schule gehört zu den existentiellen Elementen des Lebens. Jeder Erwachsene kann sich an seine Schulwege erinnern, jedes Kind lebt in dieser Erfahrung und kann diese genau mit der von anderen Schülern und Schülerinnen vergleichen. Und gerade bei Schulwegen werden kulturelle sowie soziale Unterschiede konkret und eindrucksvoll deutlich. So ist das Konzept von Sigrid Klausmanns Dokumentarfilm NICHT OHNE UNS! sehr einleuchtend: Sie zeigt 16 Kinder in fünf Kontinenten auf ihren Schulwegen und lässt sie dabei selbst diesen Weg beschreiben und davon erzählen, was ihnen Spaß oder Angst macht, was sie sich wünschen und was sie entbehren müssen, wie sie von den Erwachsenen behandelt werden und welche Träume sie für ihre Zukunft haben. Einen großen Teil dieser Filmsegmente hat Sigrid Klausmann selber gedreht, andere von kleinen Drehteams vor Ort produzieren lassen, und eine der Qualitäten des Film besteht darin, dass der Zuschauer die einen nicht von den anderen unterscheiden kann. Nun ist es unmöglich, 16 verschiedenen Kindern in 87 Filmminuten gerecht zu werden, und deshalb war es eine kluge Entscheidung der Regisseurin, eine Handvoll von ihnen intensiver vorzustellen und die andern in wenigen und kurzen Sequenzen zu zeigen. Finya aus Deutschland taucht etwa nur für wenige Momente auf und erzählt von ihren Zukunftsängsten, während die Kamera immer wieder zu Alphosine aus der Elfenbeinküste zurückkehrt, die mit dem Schulessen auf dem Kopf beladen aufrecht durch die Steppe läuft und ein sehr trauriges Schicksal tragen muss. Klausmann konzentriert sich konsequent auf die Kinder – und dadurch bekommt man einen intensiven Eindruck sowohl von den einzelnen Individuen wie auch von den Zuständen, unter denen sie leben. Ein Mädchen in der Schweiz ist fast blind und muss sich ihren Weg zur Schule mit dem Stock ertasten, ein Junge lebt in einer Township in Südafrika unter Verbrechern und Prostituierten und macht sich auf den gefährlichen Weg zur Schule, obwohl er HIV-positiv ist, ein Junge aus Österreich lebt hoch in den Bergen auf einer Almhütte und sein Schulweg im Winter ist eine rasante Skiabfahrt und ein offensichtlich in privilegierten Umständen lebendes Mädchen aus Indien erzählt davon, wie es in seiner neuen Heimat New York von anderen Kindern als Ausländerin beschimpft wurde. Der Film ist prall gefüllt mit solchen wahrhaften, erschütternden, philosophischen und spielerischen Momenten, und Sigrid Klausmann präsentiert sie wie in einem Kaleidoskop. Dabei sorgen der fließende Schnitt und die beruhigend stimmungsvolle Musik dafür, dass der Film trotz der ständigen Wechsel nie hektisch oder überfüllt wirkt. Er folgt der Chronologie der Schulwege – alle brechen gemeinsam auf, kommen am Ende in der Schule an und haben zwischendurch in einer schön geschnittenen Montage von Momentaufnahmen auch ein wenig Zeit dafür, zu spielen und zu lachen. Bei älteren wie bei jungen Zuschauern weckt der Film Empathie für seine kleinen Protagonisten, die sich zugleich so verletzlich und voller Energie, Hoffnung und Neugierde darum bemühen, etwas zu lernen und so ihr Leben und die Zukunft zu gestalten.