Hänsel & Gretel
FBW-Pressetext
Wer kennt es nicht, das Grimm’sche Märchen von Hänsel und Gretel? Zwei Geschwister, die von ihren Eltern im Wald ausgesetzt werden und die, nach langer Wanderung, an einem Pfefferkuchenhaus landen. Dort wohnt jedoch eine böse Hexe, die Hänsel mästen will, um ihn zu verspeisen. Die beiden Kinder ersinnen einen Trick, verbrennen das böse Weib und kommen reich und glücklich wieder nach Hause zurück. Und wenn sie nicht gestorben sind… Schon die Zusammenfassung eines der berühmten deutschen Volksweisen liest sich eher schaurig als schön. Der Animationskünstler Ralf Kukula nimmt sich in seinem Film der Geschichte in seiner dunkelsten Form an. Er verwendet dafür Kollagen aus in Öl gemalten Bildern und unterlegt die unheilschwangeren Bilder, in denen eine Menge Farb- und Tiersymbolik zu finden ist, mit einer disharmonischen und verstörenden Musik und wenigen sehr stimmungsvollen Toneffekten. Was am Ende bleibt, sind zwei mutige kindliche Helden, die ihr eigenes Schicksal in die Hand nehmen und sich gegen das Böse wehren. Ein bittersüßes Zeichentrickmärchen ohne Zuckerguss. Hier ist das Rezept auf alle Fälle gelungen.Filminfos
Gattung: | Animationsfilm; Kurzfilm |
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Regie: | Ralf Kukula |
Drehbuch: | Uwe Richter |
Buchvorlage: | Susanne Janssen |
Kamera: | Holger Bück |
Schnitt: | Stefan Urlaß |
Musik: | Thierry Mechler |
Länge: | 10 Minuten |
Produktion: | Balance Film GmbH |
Förderer: | FFA; Kulturstiftung Sachsen; SLM |
Jury-Begründung
Die FBW-Jury hat dem Film das Prädikat besonders wertvoll erteilt.Vor 200 Jahren erschien die Erstausgabe der Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm, mit zahlreichen Neu-Verfilmungen wurde das Jahrjubiläum 2012 gefeiert. Die Mehrzahl wurde für ein jugendliches Publikum konzipiert, diese künstlerisch nachhaltig beeindruckende Version von „Hänsel & Gretel“ ist definitiv kein Kinderfilm. Er setzt inhaltlich auf die Lust älterer Zuschauer, sich wieder auf den ursprünglichen Geist der Märchen zu besinnen, die auch den Schrecken und die Unbill des damaligen Alltags reflektieren und drastisch schildern.
So wird bitterer Hunger zum Ausgangspunkt des bekannten Geschehens, das oft nur mit kleinen Details angedeutet wird. Der Filmemacher setzt die Kenntnis der Story voraus. Hänsel und Gretel werden in den Wald geführt, der Schmerz des Vaters über diese Entscheidung ist seinem Gesicht anzusehen, das Herz der Mutter ist dagegen kalt wie Stein. Nachdem der Aussetzungsplan einmal misslingt, weil die Kinder Steine auf den Weg gestreut hatten, misslingt der zweite Rettungsplan. Vögel fressen das ausgestreute Brot. Auf ihrem Irrweg durch den Wald finden die Kinder Zuflucht bei einer alten Hexe, doch deren Haus gleicht eher einer abgewrackten Industrieanlage als dem Pfefferkuchenhaus. Die Mast Hänsels wird nur kurz angedeutet, schließlich landet die Hexe wie erwartet mit einem Schubs von Gretel im Ofen und verbrennt unter intensiver Rauchentwicklung. Die Kinder plündern ihren Schatz.
Ralf Kukula findet bei der künstlerischen Umsetzung in der vom ihm seit Jahrzehnten liebevoll gepflegten Papierlegetechnik einen innovativen ästhetischen Ansatz, der Tradition und Moderne miteinander verbindet. Wie in vielen seiner Filme baut er auf bekannten Illustrationen auf - diesmal auf die eines französischen Grafikers, der sich seinerseits an den Stil der Romantik anlehnt. Integriert werden dabei Symbole, die in der deutschen Rezeption fehlen wie ein Schmetterling als Zeichen der Hoffnung, der zu Beginn von der Mutter verbrannt wird und am Ende wieder auftaucht, oder ein Schwan, der die Kinder über einen Bach setzt.
Sehr modern werden dagegen Hänsel und Gretel selbst und das Hexenhäuschen gezeichnet. Das Rot in der Kleidung seiner garstigen Bewohnerin sticht ins Auge gegen die in schwarzweiß gehaltene sonstige Handlung, in der nur einige Tiere weitere Farbtupfer setzen.
Ein plakatives Triumpflachen der Hexe nach der Gefangennahme der Kinder ist auch der einzige Ton eines Menschen im Film. Kukula verzichtet auf Dialoge, er setzt auf klassische Orgelmusik aus der Zeit des Entstehens der Märchen. In dramatischen Momenten darf der Organist kräftig in die Tasten hauen.
Die vielen inszenatorischen Einfälle verbindet Kukula zu einem Gesamtkunstwerk, das Erwachsene unterhält und neugierig macht, die alten Märchen inhaltlich neu zu bewerten.