Dr. Alemán

Kinostart: 14.08.08
VÖ-Datum: 27.03.09
2008
Filmplakat: Dr. Alemán

FBW-Pressetext

Der bürgerlichen Bequemlichkeit entsagen, Exotik erleben, aufgehen in der Fremde – der abenteuerlustige unbedarfte Medizinstudent Marc möchte diesen Traum leben und absolviert sein praktisches Jahr in Cali, Kolumbien. Dort lernt er im Armenviertel nicht nur eine schöne Kolumbianerin kennen, sondern auch den desillusionierenden Alltag, in dem das Blut auf dem OP-Tisch und ebenso auf den Straßen fließt. Marcs naiver Idealismus wird bald von kaltem Zorn auf die Urheber der Gewalt aufgefressen, immer tiefer taucht er in das undurchsichtige Kriminalitätsgeflecht ein. Mit seinem zweiten Kinofilm liefert Tom Schreiber eine packende Story über Grenzerfahrungen mit psychologischem Tiefgang. Zwischen Exotik und Romantik, Elend und Gewalt oszillierend, fängt Dr. Alemán atmosphärisch dicht das bedrohliche Klima ein, die Kamera stets unmittelbar am Geschehen. Besondere Glaubwürdigkeit gewinnt der Film auch durch den Einsatz exzellenter Darsteller aus dem Milieu. Spannend, aufwühlend, beeindruckend authentisch
Prädikat besonders wertvoll

Film-PDF Download

Filminfos

Kategorie:Arthouse
Gattung:Drama; Spielfilm
Regie:Tom Schreiber
Darsteller:August Diehl; Marleyda Soto; Andrés Parra; Hernán Méndez
Drehbuch:Oliver Keidel; Tom Schreiber
Weblinks:;
Länge:107 Minuten
Kinostart:14.08.2008
VÖ-Datum:27.03.2009
Verleih:Zorro
Produktion: 2 Pilots Filmproduction GmbH, 2Pilots Filmproduction
FSK:12
Förderer:FFA; BKM; Filmstiftung NRW; DFFF

Trailer wird nach Klick nicht abgespielt?
Hier geht es zum Download des aktuellen Quicktime-Players.

Jury-Begründung

Prädikat besonders wertvoll

Den Medizinstudenten Marc hat die Reise- und Abenteuerlust gepackt. Auf der Flucht vor der tödlichen Routine des elterlichen Erbes – sein Vater, ebenfalls Arzt, hat dem Junior nach seinem plötzlichen Herztod die Frankfurter Vorstadtpraxis hinterlassen – türmt der Arzt in spe erst einmal nach Lateinamerika in die Stadt Cali, um dort sein praktisches Jahr zu absolvieren. Mit im Gepäck: eine „Schneekugel“ mit dem Panorama seiner Heimatstadt als Gastgeschenk für seine katholische Herbergsfamilie. Die einfachen kolumbianischen Gastgeber sorgen für die Auszubildenden des Krankenhauses am Rande eines Slums und bieten ihnen Kost, Logis und Halt. Denn Cali ist nicht nur eine der schönsten, sondern auch eine der gefährlichsten Städte Kolumbiens.

Bereits Marcs erster Arbeitstag führt dem Kinobesucher das Aufeinanderprallen der unterschiedlichen Lebenswirklichkeiten drastisch vor Augen. Marcs Erlebnishunger und seine Lebensträume stehen den Bewältigungsstrategien seiner Kollegen und den Überlebenskämpfen der Bewohner von Cali diametral entgegen. Das Krankenhaus am Rande der Favela Siloé ist hoffnungslos überbelegt: Schusswunden-Opfer aus Drogenkriegen und anderen Gang-Rivalitäten drängen sich in den Gängen. Den nassforsch auftretenden Neuzugang begrüßt der Leiter des Krankenhauses vorsichtshalber gleich einmal mit den Worten „Heil Hitler“ – und schickt den Unbedarften ohne jeden überflüssigen Luxus weiterer Rituale direkt in die Not-Ambulanz, wo er von nun an dafür zuständig ist, Steckschüsse aus den perforierten Körpern der miteinander konkurrierenden Gangster zu schälen. Schwitzend gräbt sich Marc mit Löffel und Skalpell durch das verschmauchte Fleisch seines ersten Patienten. Die Kamera ist dicht dran. Das Blut tropft Marc vom Operationstisch in die Schuhe. Das ist sein ganz persönlicher erster Kontakt mit einer fremden Welt und dieser „Culture-Clash“ findet im Verlauf der packend erzählten Geschichte in starken Bildern seinen mannigfaltigen Ausdruck.

Nachdem Marc diese erste Konfrontation mit der Realität gemeistert hat und von nun an die herausoperierte Kugel wie eine Trophäe, die ihn beschützt, um den Hals trägt, fühlt er sich gut gewappnet und seine Lust an weiteren Herausforderungen dadurch noch stärker befeuert.

Die facettenreiche Charakterisierung des Protagonisten als eine tragische, neo-romantische Figur zieht den Zuschauer durch das nuancenreiche Spiel August Diehls von Anfang an fest in den Bann. Mit ambivalenter Sympathie heftet sich der Zuschauer mit seiner eigenen exotischen Neugier an Marcs Sohlen, wenn er die Favela Siloé durchstreift und hofft mit ihm auf einen glücklichen Ausgang all seiner Unternehmungen. Beeindruckend geleitet ihn die Kamera durch die Originalschauplätze der Slums, durch die Enge der verwinkelten, übereinander liegenden Hauseingänge, Hinterhöfe, Märkte. Sie fängt das alltägliche Treiben ihrer Bewohner ein, schafft Vertrautheit und verharrt wie selbstverständlich auf den Gesichtern der Laiendarsteller, um all diese authentische Elemente zu einer beinahe physisch wahrnehmbaren Atmosphäre zu verweben, die der Geschichte Präsenz und Glaubwürdigkeit verleiht.

An diesen für Marc unwirklichen Orten trifft er auf Wanda (Marleyda Soto), die toughe Besitzerin eines Kiosks, die tagsüber Schnaps und Kaffee an die Unterwelt von Cali ausschenkt und abends die Straßenkinder der Nachbarschaft bewirtet. Hier findet Marc nicht nur Eintritt in die soziale Gemeinschaft von Siloé, sondern auch seine Beschützerin und seine erste wirkliche Liebe.

Mit großer emotionaler Dichte zeichnet der Film das rauschhafte Eintauchen von Dr. Alemán in die raue Lebenswelt seiner schönen, starken Geliebten. Regelmäßiger Kokain-Konsum und immer tiefere Einblicke in die rivalisierenden Gangstergruppen aus der Ober- und der Unterstadt bringen Marcs Ideale aus dem Lot und lassen sich auch bald nicht mehr mit seinem hipppokratischen Eid vereinbaren. Als er sich weigert, einem Killer aus dem feindlichen Lager eine lebensbedrohliche Kugel aus den Rippen zu schneiden, ist der Rausschmiss aus der Klinik nicht mehr abzuwenden und Marcs Entscheidung, nun die Waffe selbst in die Hand zu nehmen, ein weiterer fataler Fehler seiner eigenen Selbstwahrnehmung. In einem spannenden Showdown kommt es zu einem dramatischen Duell zwischen Marc und dem Gangsterboss El Juez (Victor Villegaz). An dessen Ende Marc gebrochen und desillusioniert – und von der Wirklichkeit endlich eingeholt – das Land verlassen muss.

Tom Schreibers zweiter Kinofilm erzählt eine fesselnde Geschichte über Grenzerfahrungen mit psychologischem Tiefgang. Grundlage für die packende Story ist ein souverän umgesetztes Drehbuch, das auf den Briefen und Reiseberichten eines persönlichen Freundes basiert. Dichte Milieubeschreibung und ausgezeichnete Charakterstudien verdichten sich zu einem komplexen glaubwürdigen Bildreigen über Exotik, Romantik, Elend und Gewalt. Die Kamera bewegt sich bemerkenswerter Selbstverständlichkeit im Mittelpunkt des Geschehens und ist stets nah an Protagonisten. Lange Passagen mit Originalton und der Einsatz von Darstellern aus dem Milieu verleihen dem Film Spannung und Authentizität und auf der Ton- wie auf der Bildebene eine streckenweise dokumentarische Realistik.