Jury-Begründung
Prädikat besonders wertvoll
Wer sich ans Genre des politischen Thrillers heranwagt, muss hohe Ansprüche erfüllen. Es würde nämlich nicht ausreichen, bloß eine packende Geschichte zu erzählen, die Figuren ansprechend einzuführen und durch kalkuliert gesetzte Wendepunkte die Spannung zu halten. Das würde zumindest für ein Publikum, welches Seh-Erfahrungen mit diesem Genre hat, nicht ausreichen. Man muss also mehr bieten, für visuelle und akustische Spezialitäten sorgen und originelle Einfälle haben. Man sollte virtuos die ganze Bandbreite der subtilen filmischen Mittel bis hin zu den Effekten des internationalen Action-Kinos ins Spiel bringen. Nach Auffassung der FBW-Jury ist dies dem Regisseur Dennis Gansel und seinem Team erstaunlich gut gelungen. Auch die darstellerische Leistung von Moritz Bleibtreu in der Heldenrolle des Journalisten Paul Jensen konnte überzeugen. An seine Seite passt Kasia Smutniak als Katja ausnehmend gut. Den Protagonisten dürfte es gelingen, die (vor Spannung schneller schlagenden) Herzen des Publikums zu gewinnen. Auch die Gegenspieler sind aus besonderem Holz geschnitzt, so dass ein Figuren-Ensemble auf der Leinwand erscheint, welches das „Schachspiel der Macht“ trägt. Hiermit ist auf die Eigentümlichkeit des Films verwiesen. Er provoziert geradezu Diskussionen über Weltbürgerkriege, über Methoden des Machterhalts, über staatliche Sicherheitsmechanismen und natürlich die Rolle der Medien als „vierte Macht“. Auch der intellektuelle Reiz von Verschwörungstheorien kommt zur Geltung. Aber der Fokus liegt auf den russischen Verhältnissen und auf einer postum erschlossenen Vater-Sohn-Beziehung. Seltsam ist, dass dieser Themenkreis in jüngster Zeit auch literarisch tangiert wurde (- man denke an in anderem Milieu angesiedelte Bücher: Wolfgang Ruge: „Gelobtes Land“ bzw. an Eugen Ruge: „In Zeiten des abnehmenden Lichts“). Das heißt, der Film kann nicht nur mit tagesaktueller Brisanz (russische Präsidentschaftswahlen am 4. März 2012) aufgeladen werden, sondern könnte vielleicht sogar ein nachhaltiges Potential besitzen, welches mit einigen Shakespeare-Dramen vergleichbar ist. Sympathisch wirkt dagegen der Idealismus, mit dem der Film die aufklärerische Funktion der Printmedien herausstellt und sogar eine Boulevardzeitung als trojanisches Pferd nutzt. Nach ausgiebiger angeregter Diskussion zu politischen und historischen Implikationen ging die Jury die handwerklichen Komponenten des Films durch und konnte auch hier gute und sehr gute Qualitäten ausmachen. Besonders gewürdigt wurden Auswahl und Arrangement von Drehorten, die Ausstattung der Szenen und die Variation der Schauplätze (mondäne Luxuswohnungen in architektonischen Juwelen, Straßenszenen, Gefängnis, Wohnblocks, Verkehrsstationen …). Die Kameraperspektiven ermöglichen sowohl subjektive Sichten, welche zu Empathie führen, als auch analytische Distanz. Nach guter alter Hegel-Regel bleibt der Held Paul lange naiv und wächst erst in scheinbar auswegloser Situation über sich hinaus. Für einen action-geladenen Thriller sind alle nötigen Elemente vorhanden und diese werden auch angemessen gehandhabt. Insofern steht dem Kinovergnügen nichts entgegen. Darüber hinaus hat der Film einen Mehrwert zu bieten: Machtstrukturen werden transparent, politische Lagen sind historisch-plausibel erfunden, kulturelle Lebensstile kenntlich und ernste Fragen werden aufgeworfen. Dennis Gansels Film liefert Zündstoff für spannende Diskussionen und besitzt daher besonderen Wert.