Die Verführten
FBW-Pressetext
Richmond, Virginia, 1864: Martha Farnsworths Mädchenschule bietet während des tobenden Bürgerkriegs eine sichere Zuflucht vor den Schrecken der Außenwelt. Als in unmittelbarer Nähe ein verletzter Soldat entdeckt und zur Pflege in die Schule gebracht wird, gerät das geregelte Leben der Frauen durch seine Anwesenheit aus den Fugen. Schon nach kurzer Zeit erliegen die Frauen dem Charme des verwundeten Nordstaaten-Offizier John McBurney – Eifersucht und Intrigen vergiften zunehmend das Zusammenleben. Aus Gefühlen erwachsen Sehnsüchte, doch nicht alle Sehnsüchte werden erfüllt. Schon die ersten Bilder von Sofia Coppolas DIE VERFÜHRTEN, der auf dem Roman von Thomas Cullinan basiert, durchzieht eine schwül-sinnliche Stimmung, die im krassen Gegensatz zur strengen Ordnung im Mädchenpensionat steht. Dieser Gegensatz verleiht eine knisternde Spannung, die auch von der exzellent komponierten Bildgestaltung unterstützt wird. Die Kamera von Philippe Le Sourd fängt sowohl die von Mangroven und Nebelschwaden umhangene Südstaatenlandschaft als auch die kammerspielähnlichen Figurenkonstellationen in der Enge des Hauses gekonnt ein und fügt eine wichtige Komponente hinzu. Denn in einem Umfeld, in dem nichts ausgesprochen wird, sagen Blicke mehr als Worte. Auf einen Score verzichtet Coppola, nur der Gesang der Mädchen sorgt in entscheidenden Szenen für Spannung und Atmosphäre. Die Darsteller sind fantastisch in ihren Rollen. Elle Fanning als verführerische Lolita-Figur, Kirsten Dunst als verhärmte Jungfer, die nun endlich ihre Chance auf einen Ausbruch aus der lästigen Pflicht gekommen sieht, und auch Colin Farrell als ambivalent charismatischer Kriegsdeserteur, dessen Absichten immer ein wenig im Unklaren bleiben, sind ideal besetzt. Über allem thront Nicole Kidman als streng reservierte Pensionatsleiterin. Gekonnt changiert sie zwischen Fürsorge, Kalkül, Strenge und Schwäche. Und verleiht damit ihrer Figur etwas faszinierend Dominantes und letzten Endes auch Dämonisches. Obwohl es die männliche Figur ist, die die Situation lange Zeit zu lenken scheint, so sind es doch die weiblichen Charaktere, welche Coppola als starke Individuen zeigt, die sich ihr Schicksal nicht aus der Hand nehmen wollen. Und wenn am Ende die Situation eskaliert und es zu einem überraschend perfiden Ende kommt, dann erscheint das letzte Bild wie eine Mahnung daran, die Stärke und Gemeinschaft der Frauen niemals zu unterschätzen. Sofia Coppolas DIE VERFÜHRTEN ist großartiges Darstellerkino, das stimmungsvoll unterhält und den Zuschauer mit wohligem Schauer entlässt.Filminfos
Gattung: | Drama; Spielfilm |
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Regie: | Sofia Coppola |
Darsteller: | Nicole Kidman; Elle Fanning; Kirsten Dunst; Colin Farrell; Angourie Rice; Oona Laurence; Addison Riecke; Wayne Pére; Emma Howard; Eric Ian; Matt Story; Rod J. Pierce |
Drehbuch: | Sofia Coppola |
Buchvorlage: | Thomas Cullinan |
Kamera: | Philippe Le Sourd |
Schnitt: | Sarah Flack |
Webseite: | ; |
Länge: | 93 Minuten |
Kinostart: | 29.06.2017 |
Verleih: | Universal |
Produktion: | American Zoetrope, FR Productions; |
FSK: | 12 |
Jury-Begründung
Der Film ist ein gelungenes Remake des Films BETROGEN von Don Siegel aus dem Jahre 1971, in dem Clint Eastwood die Hauptrolle spielte. Die Geschichte eines Soldaten, der im amerikanischen Bürgerkrieg verletzt wird und in einem Mädchenpensionat Unterschlupf findet, womit Begehren und Begehrlichkeiten aufbrechen, wird von Drehbuchautorin und Regisseurin Sofia Coppola jedoch nun mehr aus der Perspektive der Erzieherinnen und Schülerinnen erzählt. Souverän komponiert Coppola eine stets spannend bleibende Vielfalt der Relationen der Frauen und Mädchen zu dem Fremden, der zudem dem Feindeslager angehört. So entsteht auch eine interessante Erzählung über Geschlechterverhältnisse in Zeiten des Bürgerkrieges.Nicole Kidman, Kirsten Dunst und Colin Farrell führen ein überzeugend spielendes und von der Regie gut geführtes Ensemble an, das auf sehr subtile Weise die Zuschauer spüren lässt, wie die Gastfreundlichkeit der Mädchen und Frauen schleichend in Begehren und schließlich in Begehrlichkeiten übergeht, wie das Wilde nach und nach aus dem Korsett der auf Bändigung abzielenden weiblichen Erziehung ausbrechen will und wie der Mann der stets den guten Ton zu wahren versucht, um die Gastfreundlichkeit und damit sein Leben nicht in Gefahr zu bringen, um dann doch seine latente Gewalttätigkeit zum Ausdruck zu bringen, als er selbst an seiner Überlebensstrategie scheitert.
Kamera und Schnitt bewegen die Handlung wie im Schwebezustand vorwärts und hüllen das perfekt gewählte und eingesetzte Setting in eine schwüle und von latenter Bedrohung geprägte Atmosphäre. Immer wieder werden die Figuren in ein Verhältnis zu Pflanzen gesetzt, insbesondere zu den Virginia-Eichen mit dem für sie typischen Louisianamoos. So stimmig wie der gesamte Film, ist der Bezug zu diesen Pflanzen gewählt und den um sie rankenden Legenden, eignen sie sich doch perfekt für eine Southern Gothic-Geschichte wie DIE VERFÜHRTEN. Es wird eine ähnliche mystische Atmosphäre geschaffen, wie mit dem Schauplatz des „Hanging Rock“ in PICKNICK AM VALENTINSTAG. Wie Peter Weirs Film erzählt DIE VERFÜHRTEN von weiblichem Begehren unter einer Fassade viktorianischer Erziehung, die durch unterdrückte Wünsche und Sehnsüchte zu bröckeln droht.