Die Anruferin
FBW-Pressetext
Wohl die Kino-Entdeckung dieses Sommers, wenn auch noch ohne Verleih. Eine Kinderstimme am Telefon, die Zuspruch und Mitleid einfordert und sanft erzwingt. Eine Frau mit hartem Job, die ihre Mutter pflegt und eine Freundin „findet“. Eine virtuose Gratwanderung, psychologisch stimmig, präzise inszeniert, spannend und überraschend. Drei überaus komplexe Frauenrollen, drei große Darstellerinnen. Thriller, schwarze Beziehungskomödie, schizophrene Fallstudie? Wenig Vergleichbares findet sich im jüngeren deutschen Film. Diesen Regisseur muss man sich merken: Felix Randau. Ebenso die Kamera: Jutta Pohlmann.Filminfos
Kategorie: | Arthouse |
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Gattung: | Melodram; Spielfilm |
Regie: | Felix Randau |
Darsteller: | Valerie Koch; Esther Schweins |
Drehbuch: | Vera Kissel |
Weblinks: | ; |
Länge: | 81 Minuten |
Kinostart: | 20.03.2008 |
Verleih: | NFP |
Produktion: | Wüste Film West GmbH, Wüste Film West; ZDF; ARTE; |
FSK: | 12 |
Förderer: | Nordmedia |
Jury-Begründung
Eine Kinderstimme am Telefon. Sie erzählt ihrem weiblichen Gegenüber von einem furchtbaren Schicksal, sucht Zuspruch oder Mitleid zu erheischen. Sie bittet darum, ihr eine Geschichte zu erzählen, vielleicht eine Gute-Nacht-Geschichte. Nein, eher etwas Spannendes.Der Zuschauer sieht indessen: Die Kinderstimme am Telefon gehört einer jungen Frau. So der Beginn des Films „Die Anruferin“, wohl die Entdeckung dieses Kinosommers.
Vera Kissel schrieb nach ihrem Theaterstück das Drehbuch. Felix Randau inszenierte nach dieser klugen Vorlage seinen zweiten langen Film (nach „Northern Star“). Längere Zeit bleibt sowohl das Geschehen als auch das erzählerische Modell in der Schwebe: psychologisches Kammerspiel mit Thriller- und Mysteryelementen oder eine schizophrene Fallstudie?
„Die Anruferin“ hat von allem etwas. Assoziationen an großes internationales Kino werden wachgerufen, an Hitchcocks „Marnie“ etwa oder an frühe Chabrols. Nach und nach verschmilzt der Film seine Elemente zu einer berührenden, menschlichen Parabel über die Lebenskrise einer Frau. Schritt für Schritt wird das Geheimnis offenbar, werden die Gründe transparent für den Identitätswechsel. Das Rollenspiel als Fluchtversuch, um den Dämonen der Vergangenheit zu entrinnen, Schuldkomplexe abzustreifen. Letztlich geht es darum, das eigene Leben selbst zu bestimmen. Felix Randau: „Wer sich selbst nicht mal begegnet ist, der bleibt immer auf der Flucht.“
Wie gesagt, es gibt wenig Vergleichbares im jüngeren, deutschen Film. Ungewöhnlich – dieses Attribut hat für „Die Anruferin“ voll und ganz seine Berechtigung. Der Film ist eine schöne psychologische Gratwanderung, er spielt virtuos mit der Struktur des Kammerspiels (unterstützt durch die präzise kalkulierten Einstellungen der Kamera Jutta Pohlmanns) und überzeugt durch die darstellerische Intensität in den drei psychologisch sehr komplexen Frauenrollen. Herausragend Valerie Koch bei ihrer Flucht in die infantilisierte Emotionalität, im Transparentmachen ihrer Verletzungen.