Filmplakat: Destination Finale

Kurzbeschreibung

Ein Vietnamese reist Mitte der 60er durch Europa
Prädikat wertvoll

Filminfos

Gattung:Dokumentarfilm; Experimentalfilm; Kurzfilm
Regie:Philip Widmann
Drehbuch:Philip Widmann
Schnitt:Philip Widmann
Länge:9 Minuten
Produktion: Works Cited / Krause & Widmann Philip Widmann
FSK:0

Jury-Begründung

Prädikat wertvoll

Europa Anfang der 60er Jahre: Ein Reisender aus Südostasien besichtigt die Hauptstädte Paris, London, Lissabon, Athen. Er posiert vor den Sehenswürdigkeiten, bewegt sich durch die Straßen – in einer Mischung aus Stolz und Scheu. Am Ende sieht man ihn inmitten einer größeren Reisegruppe vor einem Flugzeug. Das Setting ist bekannt, der Reisende wirkt fremd, ein Zeitreisender. Wer ist er, was ist der Grund seiner Reise? Wer hat ihn gefilmt? Wieso sehen wir ihn in einem Film von 2008? Der Abspann klärt uns auf: DESTINATION FINALE ist ein Found Footage-Film. Der Filmemacher Philip Widmann hat das 8mm-Material 2005 in Ho Chi Minh Stadt, dem früheren Saigon, entdeckt und neu bearbeitet, hat das Material geschnitten, mit einer eigenen Tonspur versehen und den Abspann hinzugefügt. Er klärt darüber auf, dass das Material 1963/64 aufgenommen worden sein muss. Im März 1964 landeten amerikanische Kampftruppen in Vietnam.

Jeder Found Footage-Film bereitet Schwierigkeiten in der Beurteilung, weil nicht klar ist, unter welchen Umständen das ursprüngliche Material entstanden ist. Wer hat es aufgenommen, was waren die Intentionen? Was waren die Motive und Leistungen des „Finders“? Was war ihm einer nachträglichen Bearbeitung wert? Was hat er weggelassen, was hat er durch seinen Schnitt und seine Tonbearbeitung neu interpretiert? Andererseits eröffnen Found Footage-Filme dem Betrachter ungeahnte Entdeckungen und bieten vielfältiges Material für Diskussionen und Spekulationen. Sie setzen einen aktiven Zuschauer voraus, der bereit ist, sich auf ungewöhnliche Sichtweisen und Erfahrungen einzulassen und das eigene Rezeptionsverhalten zu hinterfragen. Im Ideal wirft der Film mehr Fragen auf, als er beantwortet, und hierin liegt sein besonderer Wert.

DESTINATION FINALE nimmt den Zuschauer mit auf eine Zeitreise in die frühen 60er Jahre, eine Epoche, die im Rückblick unbeschwert und optimistisch erscheint. Gleichzeitig ermöglicht der Film eine Umkehrung des kolonialen Blicks. Nicht ein Europäer richtet sein Objektiv auf „exotische“ Sehenswürdigkeiten in Fernost, sondern für den Reisenden aus Asien sind die Attraktionen Europas fremd und dokumentationswürdig. Auf Film gebannt werden sie die Authentizität der Reise auf ewige Zeiten belegen. Aber auch innerhalb Europas waren Reisen in dieser Zeit nicht selbstverständlich. Unterscheidet sich der Blick des asiatischen Touristen von dem des europäischen? Zeigt er größere Fremdheit?

Und während wir noch darüber nachsinnen, ob möglicherweise noch weitere Mitglieder der Reisegesellschaft ähnliche filmische Dokumente hinterlassen haben, klärt uns der Abspann darüber auf, dass es sich um Vietnamesen auf Europareise gehandelt haben muss – kurz vor der Landung amerikanischer Truppen und der Eskalation des Vietnamkrieges.

Der Abspann macht den Film zum politischen Dokument. Die Zeit der Unbeschwertheit und Entdeckerfreude ist vorbei. Was mag den Reisenden im Verlauf des Krieges zugestoßen sein? Welche verschlungenen Wege hat das Filmmaterial genommen? Gleichzeitig entlarvt der Film im Nachhinein unseren eigenen Blick auf Vietnam, der geprägt wurde durch Fernsehbilder vom Kriegsgeschehen und der Wahrnehmung seiner Bewohner als einheitliches Volk armer Reisbauern.

DESTINATION FINALE ist ein Film, der auf den ersten Blick Befremden auslöst und der im Ausschuss lange und durchaus kontrovers diskutiert wurde. Die Mehrheit der Mitglieder war der Meinung, dass der Film immer interessanter wird, je mehr man sich auf ihn einlässt, darüber nachdenkt und diskutiert.